New Brunswick, Quebec, Ontario
27. Mai bis 29. Juni 2022
Nach fast drei Wochen verlassen wir Nova Scotia. Der Bay of Fundy bleiben wir aber auch in der Provinz New Brunswick vorerst treu, zu faszinierend sind für uns die immensen Gezeiten. Im Fundy Nationalpark beobachten wir den extremen Unterschied zwischen Ebbe und Flut direkt vom Stellplatz aus. Schöne Aussichten auf die von den Gezeiten gezeichnete Küste soll auch der Fundy Parkway preisgeben. Die schmale, teilweise sehr steile Strasse schlängelt sich mit Steigungen und Neigungen bis zu 16 % durch die Landschaft. Unzählige Lookouts und Picknick Plätze verführen zu einem Halt, doch ein zäher Nebel vermiest jede Sicht. Man sieht nichts.
In Saint John besuchen wir den legendären City Market. Soll einer der ältesten noch bestehenden Bauernmarkt Kanadas sein. Das Gebäude strahlt eine gemütliche Atmosphäre aus. Es ist an einem leichten Abhang gebaut und auch die Marktgasse im Innern folgt dieser Neigung. Grad ist nicht viel los. Einige Künstler sind mit Zeichnungen, T-Shirts und Kleinkram hier. Die Essenstände sind geschlossen. Ein Stand verkauft Früchte und Gemüse. Und Fidleheads. Fidleheads sind die jungen, spiralförmigen Wedel von Farnen, die im Frühjahr in Kanada geerntet und als Gemüse gekocht werden. Eigentlich fast schade darum, schon wegen dem poetischen Namen.
Unser Ziel ist der Saint John River, genauer die Reversing Rapids. Das einzigartige Phänomen entsteht durch die Kollision der Bay of Fundy mit dem Saint John River. Bei Ebbe mündet der Fluss in die Bucht und verursacht kurz vorher eine Reihe von Stromschnellen und Strudeln, in denen die Kormorane nach Fischen tauchen. Steigt die Flut an, so verlangsamt sie die Flussströmung bis für einen kurzen Zeitraum das Wasser wie in einem See stillsteht, Slack Tide genannt. Die Gezeiten der Bucht steigen weiter und kehren den Flussfluss allmählich um. Es bilden sich wieder Stromschnellen, diesmal flussaufwärts, die bei Flut ihren Höhepunkt erreichen. Auch die Kormorane surfen jetzt flussaufwärts. Von unserem Übernachtungsplatz, direkt vor den Stromschnellen, können wir das Schauspiel bestens beobachten.
Endlich ist warm, der Frühling ist angekommen. Wir fahren durch hügelige Landschaften. Mischwälder mit ihren jungen Blättern in den verschiedensten Grüntönen begleiten uns. Immer wieder wird in grossen Warnschildern vor den Moose, den nordamerikanischen Elchen, gewarnt. Aber ausser auf den Schildern sehen wir weit und breit keine. Schade. Auf extrem holprigen Strassen mit enormen Winterschäden geht es an Acker und Wald vorbei.
Bei Somerville überqueren wir den Saint John River auf der Hartland Covered Bridge. Mit 390 m ist sie die längste gedeckte Holzbrücke der Welt. Wie alle überdachten Brücken in New Brunswick, ist es eine «Kussbrücke». Kussbrücken gehen auf die Jahre des Pferde- und Wagenverkehrs zurück, als junge Männer ihre Pferde so trainierten, dass sie auf halbem Weg über die Brücke anhielten und warteten, während das Paar ein paar Küsse teilte, um danach auf die andere Seite der Brücke weiterzugehen. Als die Brücke 1921 überdacht werden sollte, stiess das in der Gegend auf erheblichen Widerstand und Besorgnis. Es wurden gar Predigten gehalten, in denen davor gewarnt wurde, dass eine «überdachte» Brücke die Moral der jungen Menschen zerstören würde. Allerdings wurde die Brücke trotzdem gedeckt. Einige Jahre später musste dafür jeden Winter Schnee geholt und auf den Brückenboden gelegt werden, damit Pferde und Schlitten darüberfahren konnten.
Und noch einmal lässt uns der Saint John River staunen. Die Grand Falls im gleichnamigen Städtchen nahe der US-Grenze und die nachfolgende Schlucht ist ein Spektakel, das man gesehen haben muss, wenn man in der Gegend ist. Und wir sind auch genau zur richtigen Zeit hier. Jetzt im Frühling stürzen jede Sekunde sechs Millionen Liter Wasser die 25 Meter in die Tiefe, 9/10 des Volumens der Niagarafälle. Wenige Monate später wird dann praktisch das gesamte Wasser zum Kraftwerk umgeleitet. Auf mehreren Aussichtsplattformen lässt sich der wunderschöne Wasserfall überblicken. Auf dem speziell angelegten Pfad erkunden wir anschliessend einen Teil der engen Schlucht, in der das Wasser weiter brodelt.
Für den Moment haben wir genug vom Schütteln auf den kaputten Strassen und wechseln auf den gut ausgebauten, aber langweiligen Highway. Trotz massiven Zäunen gibt es auch hier riesige Schilder, die vor Elchen warnen. Aber auch hier zeigt sich keines der scheuen Tiere. Hingegen sieht Marcel plötzlich eine Gruppe Vögel am Himmel. Die Formation ist noch nicht perfekt, aber dem Flugbild nach könnten es Kraniche sein, zumal wir gelesen haben, dass im Grossraum welche gesichtet worden sind. Also Blinker raus und bei der nächsten Abfahrt rechts ab. Sie zeigen sich nicht mehr. Durch Äcker und an Bauernhöfen vorbei fahren wir in die Richtung, in welcher wir sie gesehen haben. Die Strasse endet und wir fahren auf einem Feldweg weiter durch ein Wäldchen. In den Bäumen hängen blaue Plastikrohre, ja der ganze Wald scheint damit vernetzt zu sein. Bei genauerem hinsehen erkennen wir, da wird den Ahornbäumen der Saft abgezapft, aus dem dann der Ahornsirup hergestellt wird.
Weiter dem Feldweg entlang stoppen wir auf einem Hügel. Noch immer keine Kraniche. Acker links, Acker rechts, Sonne pur, der richtige Platz für ein Mittagessen. Gemäss Navigationssystem ist es nicht mehr weit bis zur nächsten grösseren Strasse. Zehn Meter weiter geht es nur noch nach links und hinunter in ein Waldstück. Schon von oben sehen wir, dass es ziemlich ruppig werden wird. Zurück ist fast nicht möglich, also Geländegang rein und langsam weiter. Unten angekommen, stehen wir vor grossen Wasserpfützen. Es hilft nichts, da müssen wir nun durch. Die grosse Strasse ist immer noch gleich weit weg. Die Wasserlöcher werden immer grösser, die braune Brühe lässt die Tiefe nicht abschätzen. Spuren zeigen jedoch, dass wir nicht die Ersten sind. Ein Schlag lässt uns aufschrecken. Da ist was hängen geblieben. Es nützt nichts… weiter! Endlich erreichen wir die Abzweigung zu einer asphaltierten Strasse. Zuerst aber heisst es mal den möglichen Schaden besichtigen. Und ja, die hintere Aufhängung des Wassertanks wurde beinahe abgerissen, die Isolation vom Tank hängt in Stücken herunter. Wir suchen Hilfe in einem Ort bei einem Wohnmobilhändler. Der schickt uns weiter zu einem Automechaniker. Dieser scheint keine Zeit zu haben und schickt uns weiter zum nächsten. Aber auch dort haben wir kein Glück.
In Cabano stellen wir uns auf den Parkplatz beim Fort. Nun legt sich Marcel unter das Auto und klebt mit Panzerband die Isolation wieder zusammen. Den hinteren Aufhängebügel hämmert er an einem Stein in die richtige Form und schraubt in wieder an. Das sollte halten, bis wir einen Spezialisten finden. (Nachfolgende Studien im Internet zeigen, dass die Wassertankaufhängung eine grosse Schwachstelle an unserem Hymer ist und beizeiten eine Gesamtsanierung Sinn machen wird. Vielleicht aber erst im Mexiko, wo echte Handwerker noch bezahlbar sind.)
Wir überqueren die Provinzgrenze nach Quebec und gewinnen eine Stunde. Waren in den Provinzen New Brunswick und Nova Scotia die meisten Strassenschilder zweisprachig, englisch und französisch, so kennt die Provinz Quebec scheinbar nur das Französische. Obwohl in Kanada sowohl die englische als auch die französische Sprache Amtssprachen sind, ist die ausschliessliche Amtssprache der Provinz Québec das Französische. Quebec bleibt eine sprachliche Bastion im britisch-puritanischen Nordamerika.
Von Rivière-du-Loup nach Saint-Siméon setzen wir mit der Fähre über den St. Lorenzstrom. Im Saguenay-St-Lawrence Marine Park bei Tadoussac sollen mit etwas Glück bereits Ende Mai die ersten Wale zu beobachten sein. Und tatsächlich, bereits während der Überfahrt erblicken wir nicht weit von der Fähre die ersten Belugas, manche zusammen mit Jungtieren. Die erwachsenen Tiere sind leuchtend weiss, die Jungtiere leicht gräulich. In der Bucht von Tadoussac blinkt und blitzt es dann weiss von den vielen Belugarücken. Ganze Gruppen schwimmen durch die Bucht, der Kinderstube der Belugas. Wir beobachten sie den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein.
Eine kurze Strecke dem St. Lorenzstrom entlang nördlich finden wir den Campingplatz Paradis Marin direkt am Meer. Unmittelbar vor unserem Stellplatz tauchen die Minkwale auf. So ein Glück. Dreimal zeigen sie meist ihre Rückenflosse, dann tauchen sie für längere Zeit ab. Die Spannung steigt jedes mal, wo wohl der nächste Wal auftauchen wird, die Rückenflosse oder eine Wasserfontäne. Wir hören sie schnauben.
Tags darauf besucht uns ein Kolibri, aber es zeigen sich nur wenige Wale. Dafür sehen wir einen um diese Jahreszeit seltenen Blauwal. Im Unterschied zu den Minkwalen ist sein Rücken um einiges länger, dafür die Rückenflosse nur klein. Auch zeigt er uns beim Abtauchen seine Schwanzflosse. Abends schwimmen dann in der Ferne ganze Horden von Belugas. Es scheint, dass heute weniger Krill, dafür mehr Fische vor uns im Meer treiben.
Am dritten Tag gesellen sich Marie und Viktor wieder zu uns. Mit ihnen kommen auch Minkwale zurück. Und wie. Sehr nahe schwimmen sie heute vor uns, auch mal zu Zweit. Und sie zeigen uns, dass auch sie ihre Schwanzflosse vor dem Tauchen aus dem Wasser heben können.
Auf einem Schild an der Strasse nach Quebec preist eine Fromagerie ihren Fromage Swiss aus 100 jähriger Erfahrung an. Zu probieren gibt’s ihn nicht, trotzdem kaufen wir ein Stück. Wir sind gespannt, wie er schmeckt. Wenig später haben wir Gewissheit: das einzig schweizerische daran bleibt der Name.
20 Minuten vor Quebec machen wir Rast bei der St.-Anna-Basilika. Die riesige Kirche ist der älteste Wallfahrtsort Nordamerikas. Das Heiligtum von Sainte-Anne-de-Beaupré begrüsst jährlich fast eine Million Besucher. Zahllose abgelehnte Krücken zeugen von den Wundern dieses Wahlfahrtortes.
Weiter Richtung Quebec wird der Himmel schwarz und schwärzer, dabei wollten wir doch noch kurz zum Montmorency Wasserfall. Kaum auf dem Parkplatz angekommen, beginnt es sehr stark zu regnen. So erhält wenigstens Rocky die längst fällige Dusche. Schnell ist das gröbste wieder vorbei und wir können noch einen Blick auf den Wasserfall erhaschen. Dieser ist längst nicht so bekannt wie die Niagarafälle und doch sind die Quebecer stolz darauf, dass ihr Wasserfall 30 Metern mehr Fallhöhe als die Niagarafälle aufweist. Ganze 83 Meter stürzt sich der Montmorency River in die Tiefe.
Zusammen mit Maria und Viktor besuchen wir die Stadt Quebec. Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz Québec wurde am Nordufer des Sankt Lorenzstroms auf zwei Ebenen errichtet und besteht aus der Oberstadt (Haute-Ville) und der Unterstadt (Basse-Ville). Der Name der Stadt leitet sich davon ab, dass sich hier der Fluss an einer markanten Stelle verengt. Das Zentrum der ältesten Stadt Kanadas liegt auf dem Hochplateau Colline de Québec, das sich rund hundert Meter über dem Fluss befindet und steil aufragt. Eine Besonderheit der Stadt sind die gut erhaltenen historischen Befestigungsanlagen, darunter auch die alte Stadtmauer, die einzige erhaltene Stadtmauer Nordamerikas.
Wir beginnen unseren Stadtbummel an der Terrasse Dufferin mit ihren hölzernen Stegen. Von hier aus bietet sich uns ein spektakulärer Ausblick auf die Unterstadt und den Sankt-Lorenz-Strom. Direkt an der Terrasse bestaunen wir das das Fairmont Le Château Frontenac, das berühmte Herzstück der historischen Altstadt von Québec. Seit 125 Jahren beherbergt das Hotel hochkarätige Gäste. Die Arbeiten an dem schlossähnlichen Gebäude begannen 1892, doch der Baustil stammt aus einer noch früheren Zeit und zeigt Einflüsse aus Renaissance und Mittelalter. Kein Wunder, dass das Chateau mit seinen mehr als 600 Räumen zu den meistfotografierten Hotels der Welt gehört. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten verbirgt sich hinter der klassischen Fassade nun eine moderne Inneneinrichtung mit Marmorbädern und Art-déco-Elementen.
Von der Dufferin Terrace fahren die Frauen mit der Funicular ins Quartier du Petit Champlain hinunter, die Männer nehmen derweil die Treppen. Gemeinsam spazieren wir durch die engen Kopfsteinpflasterstrassen zum Place Royale, einem kleinen, aber geschichtsträchtigen Platz. Hier schlug der Forschungsreisende Samuel de Champlain seine erste Bleibe auf, aus der später die Stadt entstand. Neben der ältesten Steinkirche Nordamerikas gibt es ein massives Wandgemälde zu bestaunen, das die 400jährige Geschichte der Provinz Québec nachzeichnet. Die Rue de Petit Champlain mit ihren vielen Boutiquen, Souvenirshop und Restaurants gibt zwischen den alten Steinhäusern immer wieder einen Blick auf das Fairmont Hotel preis.
Zurück in der Oberstadt beginnt ein leichter Regen und wir suchen uns zum Mittagessen Unterschlupf in einem Restaurant. Überraschenderweise ist heute Sonntag trotz fortgeschrittener Mittagszeit nur die Frühstückskarte verfügbar. Ein Nest aus Rösti serviert mit Paprika, Zwiebeln, Pilzen, Räucherlachs, Sauce Hollandaise und einem Spiegelei obendrauf kann aber unseren grössten Hunger stillen.
Frisch gestärkt geht’s weiter zum Parlament Building, dem Hôtel du Parlament du Quebec. Das älteste Gebäude in Quebec wurde architektonisch vom Louvre in Paris inspiriert. Unzählige Politiker und Debatten hat es erlebt. Die Fassade ist mit 26 Bronzestatuen geschmückt, die an Schlüsselfiguren in der Geschichte der Provinz Quebec erinnern. Der schöne Springbrunnen Fontaine de Tourney vor dem Parlamentsgebäude bildet das extravagante Herzstück. Der Brunnen stand ursprünglich in der Partnerstadt Bordeaux und wurde als Geschenk zur 400-Jahr-Feier Quebecs hierhergebracht.
Zurück zur Dufferin Terrasse gehen wir auf der sternförmigen Mauer der Zitadelle von Quebec. Ein Teil des Forts dient heute dem Royal 22e Régiment der kanadischen Armee als Kaserne.
Im Winter könnten wir die letzten 60 Höhenmeter bis zur Terrasse mit bis zu 70 km/h auf einer 250 Meter langen Schlittelbahn hinuntersausen. Die 1884 erbaute Rutsche ist möglicherweise die älteste Attraktion der Stadt.
Bei Point de Yamachiche erwischen wir einen Übernachtungsplatz bei einem Naturpark. Dick eingepackt als Schutz gegen die aufdringlichen Mücken geht es auf zum Birdwatching ins Sumpfgebiet. Erst sehen wir nur ein paar Nutrias und eine Entenfamilie im flachen Wasser. Viele verschieden Vogelstimmen können wir hören, aber die gefiederten Freunden dazu in den hohen Bäumen nicht sehen. Dann entdecken wir sie nach und nach: American Robin, Red-winged Blackbird, Yellow Warbler, White-Beasted Nuthatch, Cedar Waxwing und wie sie alle heissen. Ein Eisvogel taucht nach einem Fisch. Am anderen Ufer beobachten wir einen Adler. Ein zutrauliches Paar Schwarzkopfmeisen frisst Marcel direkt aus der Hand. Bevor wir am nächsten Morgen weiterfahren spazieren wir nochmal durch das Naturreservat: Meisen füttern. Im Wasser schnappen unzählige Welse an der Wasseroberfläche nach Nahrung.
Durch kleine Dörfer und weite Ebenen mit Ackerland fahren wir nördlich an Montreal vorbei in Richtung Ottawa. In den gepflegten Gärten der Häuser blühen wunderschöne Iris in den verschiedensten Farben. Lupinenfelder und Wolken von Kerbel säumen die Strassen.
Ein Legende erzählt, dass Queen Victoria eine Stecknadel in die Karte steckte und Ottawa als neue Hauptstadt über die Ansprüche von vier rivalisierenden Städten (Quebec, Montreal, Kingston und Toronto) entschied. Andere sagen, dass sie von den Farben des Wassers beeindruckt war, die die dramatische Landschaft am Ottawa River zeigen. Tatsächlich erhob Queen Victoria, die auch Oberhaupt der kanadischen Provinzen war, die abgelegene Stadt nach ernsthafter Überlegung und auf Anraten vertrauenswürdiger Berater zur Hauptstadt Kanadas. Diese Entscheidung stiess auf viel Unverständnis, da die nach dem Stamm der Outaouak-Indianer benannte Stadt ein Schattendasein geführt hatte. Aufgrund der Lage an der englisch-französischen Sprachgrenze was sie für beide Bevölkerungsteile Kanadas akzeptabel.
Wir übernachten auf der anderen Seite des Flusses Ontario im überwiegend französischsprachigen Gatineau. Über die Alexandra Bridge queren wir die Provinzgrenze und die Sprachgrenze in die Hauptstadt Ottawa, Ontario. Als markantes Wahrzeichen zeigt sich als erstes das kanadische Parlament auf einem Hügel, hoch über dem Ottawa River.
Als Erstes sehen wir uns die Ottawa Locks an. Gerade rechtzeitig. Ein Boot steuert die unterste Schleuse an, was nicht so häufig vorkommen soll. Die Ottawa Locks sind die grössten aller Schleusen am 202 km langen Rideau Kanal, der Ottawa mit Kingston am Ontariosee verbindet. Die Schleusen überwinden in insgesamt acht Kammern einen Höhenunterschied von 24 Metern. Sehr interessant sind vor allem die Schleusentore. Sie sind aus Fichtenholz gefertigt und halten 12 bis 15 Jahre. Danach müssen sie erneuert werden. Auch heute noch werden sie von Tischlern und Schmieden in Handarbeit hergestellt. Es dauert ungefähr zwei Monate, um ein paar Schleusentore herzustellen. Die Tore müssen ganz genau passen, damit sie nur durch den Wasserdruck wasserdicht sind.
Wir schauen den 4 Schleusenwärter eineinhalb Stunden zu, wie sie die Tore schliessen, Wasser weiterleiten und die Tore öffnen. Dann kann das Boot aus der obersten Schleuse in den Rideau Kanal ausfahren. Alle Schleusentore und Schieber werden dabei wie eh und je von Hand betrieben. Bei einer Schleusung werden übrigens rund 1,3 Millionen Liter Wasser bewegt.
Indem wir den Schleusen entlang hochgestiegen sind, sind wir auch schon fast auf dem Parlament Hill angekommen. Das Gebäude ist nicht mehr original, da es durch einen Brand im Jahre 1916 stark zerstört wurde; nur die Bibliothek blieb erhalten. Diese wurde beim Wiederaufbau aber nahezu perfekt integriert, sodass der Altersunterschied zwischen den unterschiedlichen Gebäudeteilen kaum auffällt. Leider wird der dominierende Central Block gerade mehrjährig renoviert und umgebaut und versteckt sich grösstenteils hinter Bauzäunen. Schade, durch die Renovationsarbeiten ist einmalige Rundbibliothek nicht zugänglich. Wir können die Parlamentsgebäude gerade mal auf der Terrasse umrunden und versuchen durch die Absperrungen ein paar Blicke zu erhaschen. Mit dem East und West Block, sowie etwa dem Confederation Building bleiben verschiedenen weitere geschichtsträchtige Gebäude zu bestaunen.
Durch die Fussgängerzone der Sparks Street, mit vielen Restaurants, Shops und Banken, mit ganz alten aber auch ganz modernen Gebäuden, gelangen wir zum Ridau Kanal zurück und vorbei am Fairmont Chateau Laurier Hotel zum Bywart Market. Im Umkreis von etwa vier Blocks um das ursprüngliche Marktgebäude herrscht ein reges kulturelles Leben und eine kosmopolitische Atmosphäre, wozu die vielen Zuwanderer beitragen. Dieses Gebiet beherbergt sowohl einen lokalen Bauernmarkt und Kunsthandwerker als auch über 600 unabhängige Unternehmen. Kaum eine Küche aus der ganzen Welt, die hier nicht vertreten ist. Im Aulde Dubliner & Pour House, einem authentischen, zweistöckigen Irish Pub, stillen wir unseren Hunger und Durst. Einmal mehr kommen wir am heimlichen Nationalgericht der Quebecer vorbei, Poutine. Poutine ist ein Mix aus Pommes Frites mit Schmelzkäse, übergossen mit Bratensause. Aus den kross-knackigen Pommes wird so im Handumdrehen ein eigentümlicher, fetttriefender Matsch. Bon Appetit.
Die Notre Dame Cathedral Basilica ist die älteste Kirche Ottawas und Sitz des römisch-katholischen Erzbistums Ottawa-Cornwall. Dominiert wird das Bauwerk durch die Doppelturmfassade. Ihre Spitzen sind – wie für Ostkanada typisch – mit silberfarbenem Metall überzogen. Der Chor der Kirche ist übervoll mit vergoldeten Statuen und Verzierungen, die blaue Decke im Hauptschiff mit Sternen übersäht. Die Orgel spielt besinnliche Musik.
Das Kanadier sportbegeistert sind, sieht man an vielen Orten. Ist in der Schweiz in jedem noch so kleinen Dorf mindestens ein Fussballplatz anzutreffen, so stehen hier die Banden der Eishockeyfelder. In den grösseren Städten wird in den grössten Stadien dem Eishockey gefrönt. Nebst Signalisationen für Wanderwege – natürlich mit Parkplatz – sehen wir aber auch Schilder, die vor Schlittschuhläufern warnen. So manche Querung von motorisierten Schlitten im Winter, beziehungsweise Quads im Sommer ist signalisiert. Anscheinend queren diese überall von Seitenwegen die Strasse oder auch schon mal den Highway. Während unser Höhenmesser gerade mal 14 Meter über Meer anzeigt, sehen wir die Wegweiser zum Skigebiet gleich hier um die Ecke. Kanus können überall gemietet werden und bei den Wasserfällen geht’s per Zipp Line am nassen Vorhang vorbei. Auch die lauten Wasserscooter dürfen nicht fehlen. Sie stehen neben den riesigen Wohnmobilen und Wohnwagen mit ihren Slideouts über fast die gesamte Länge.
Durch weites Ackerland, Seen, Wälder geht es wieder Richtung St. Lorenzstrom. Hier in der Grenzregion zwischen Kanada und den USA, am Abfluss des Ontariosees in den St. Lorenzstrom, liegen die Thousand Islands. Die amerikanische Salatsauce «Thousand-Island-Dressing» – nicht ganz unser Geschmack – verdankt ihren Namen dieser Region, in der sie wahrscheinlich auch erfunden wurde. Sie hat den Namen der Thousand Islands, die ausserhalb Nordamerikas sonst wenig bekannt sind, in die Welt getragen. Uns führt der Thousand Island Parkway durch die vornehme Gegend stromaufwärts. Auf der rechten Strassenseite reihen sich riesige Grundstücke mit erstaunlichen Villen und gepflegten Gärten aneinander. Auf der linken Seite können wir immer wieder einen Blick auf Inseln und Mini Inselchen erhaschen. Ein Haus, eine Bootsanlegestelle und ein Baum, was will man mehr?
Nicht die eigene Insel, aber fast den eigenen Sandstrand gibt es dann am Abend im Sandbanks Provincial Park, Apero am sonnigen Strand inklusive. Die Seele lacht, während wir uns am riesigen Ontariosee wie am Meer fühlen.
Die Skyline von Toronto mit den berühmten CN-Tower taucht in der Ferne auf. Die Weltmetropole Toronto – von den Einheimischen liebevoll als «Canada’s Downtown» bezeichnet – gilt als das kosmopolitische Zentrum – Kanadas. In der weltoffenen Region Torontos sind über 250 Nationen und 170 Sprachen zuhause. An was in der Stadt bisher nicht gedacht wurde, ist ein Übernachtungsplatz für Weltenbummler, die im Wohnmobil für einen Besuch in die Stadt kommen. Da uns auch Walmart keine zwei Nächte auf seinem Parkplatz erlaubt, bleibt uns nur ein lauter Campingplatz weit ausserhalb der Stadt. Die angesagte Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr existiert zwar, eine Fahrt dauert aber fast zwei Stunden. Wir versuchen deshalb unser Glück und fahren mit Rocky direkt ins Zentrum. Sonntag sei Dank finden wir tatsächlich einen Tagesparkplatz in idealer Lage.
Noch bevor wir von den Hochhausschluchten des Businessviertels verschlungen werden, erwartet uns im St. Lawrence Market District ursprüngliches. Die historischen Markthallen sind zwar heute geschlossen, gleich daneben fasziniert uns das Gooderham Building. Das Einzigartige des roten Bachsteingebäudes ist seine «Flatiron»- oder keilartige Form aufgrund der Strassenführung. Darüber hinaus befindet sich an der Westfassade ein grosses Trompe-l’oeil-Wandgemälde des kanadischen Künstlers Derek Besant aus dem Jahr 1980. Im Innern fährt noch der Originalaufzug, einer der ältesten elektrischen Aufzüge in Toronto. Mit einem Preis von 18.000 US-Dollar war das Gooderham Building das teuerste Bürogebäude, das zu seiner Bauzeit in der 1880er Jahren in ganz Toronto errichtet wurde.
Den Kopf im Nacken, um wenigsten etwas von blauem Himmel zu sehen, geht es durch die Riesen aus Stahl, Beton und Glas. Spiegelglas in Blau, Spiegelglas in Schwarz, ja, sogar Spiegelglas in Gold. Nur die Formen der Skyscraper sind hier nicht so extravagant wie in Asien. Hier zählt der Raum mehr als das Prestige. Mittendrin die Toronto City Hall, die nebst dem CN-Tower eines der bekanntesten Wahrzeichen Torontos ist. Das moderne Design der City Hall ist in drei Hauptteile gegliedert: das Podium, der kreisförmige Ratssaal und die beiden geschwungenen, mehrstöckigen Bürotürme, die den Ratssaal umschliessen. Das Rathaus trägt den Spitznamen «Das Auge der Regierung», weil es in der Draufsicht einem grossen Auge ähnelt.
Übrigens: In Toronto gibt es anstelle eines Fernheizsystems ein Fernkühlsystem. Mit dem DLWC-Projekt (Deep Lake Water Cooling) wurde ein neues Verfahren für die Klimatisierung von Bürogebäuden entwickelt. Da die Wassertemperatur am Grund des sehr tiefen Ontariosees das ganze Jahr über konstant bei vier Grad Celsius liegt, lässt es sich zur umweltfreundlichen Kühlung in der Innenstadt verwenden. Durch dieses Projekt wird der Strombedarf für die Kühlung der Gebäude um 75 % reduziert.
Schon sind die Bürotürme hinter uns, die Stockwerkszahl der Häuser ist wieder überblickbar. Dass in der prosperierenden City in den nächsten Jahren einige davon den grossen Verwandten weichen müssen, scheint vorsehbar. Im Kensington Market gleich nördlich des Chinatown-Viertels herrscht eine trendige Bohème-Atmosphäre. Zahlreiche kleine Secondhandläden und Kunstgalerien reihen sich aneinander. An internationaler Küche, Bars und Cafés mangelt es nicht. Auf vielen der Häuser im viktorianischen Stil entlang der von Bäumen gesäumten Strassen des Viertels sind eindrucksvolle Streetart-Kunstwerke zu finden. Auf dem Markt selbst, der besonders bei den Studenten und Familien aus dem Viertel beliebt ist, sind frisches Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch zu finden.
Das Grösste der Stadt zuletzt. Der Canadian National Tower, kurz CN-Tower genannt. Kurz ist er aber keinesfalls. Die Gesamthöhe beträgt nämlich stolze 553 m. Der Turm hat zwei Aussichtsplattformen: der niedrigere und grössere SkyPod mit Restaurant auf 351 m und das höhere, aber kleinere Space Deck auf 447 m. Für besonders Schwindelfreie bietet der CN-Tower ein Erlebnis der besonderen Art. Beim Edge Walk wird man mittels Kletterseils gesichert und kann unter freiem Himmel einen 1,5 m breiten Steg in 356m Höhe – ohne Geländer – entlang spazieren: der weltweit höchstgelegene freihändig begehbare Panoramaweg. Von 1975 bis 2007 hielt er den Titel des höchsten freistehenden und nicht abgespannten Gebäudes und bis 2009 den des höchsten Fernsehturms der Welt.
Zweimal im Jahr findet im CN Tower eine schweisstreibende Spendenaktion statt, bei der mehr als 20.000 Teilnehmer die insgesamt 1.776 Stufen des Fernsehturms erklimmen. Durchschnittlich benötigten die Teilnehmer dafür 30 -40 Minuten. Während Erika auf sicherem Boden bleibt, will Marcel natürlich die Stadt von oben sehen. Anstelle der Treppe lässt er sich aber mit einem der Glasbodenaufzüge in 58 Sekunden zur ersten Aussichtsplattform hochkatapultieren. Die Aussicht ist grossartig. Schnell noch einmal die Fotos vergleichen, die er vor 45 Jahren von hier aufgenommen hat. Das Rogers Stadium am Fuss des Turms gab es damals noch nicht und das altehrwürdige Fairmont Royal York Hotel stand damals noch am Rande der Hochhäuser, heute ist es umzingelt davon.
Bei einem gemütlichen Treffen mit Pedro, einem Freund von Marcel aus Doha Zeiten, seiner Frau Paula und deren Familie lassen wir den Tag ausklingen. Zu einem guten lokalen Lagerbier gibt es Fingerfood und … Poutine zum probieren. Ein schöner Abend.
Bevor es am Morgen weitergeht, besuchen wir die Cheese Boutique. Gemäss dem Tipp von Paula soll sich hier der gute Käse aus der ganzen Welt versammeln. Wir sind im Himmel. Neben den grossen Schweizer Käsen liegt da auch der scharfe Max und der Mont Vully. Den Morbier aus dem Burgund gibt es auch aus kanadischer Manufaktur. Schöne cremig, gar nicht mal schlecht. Zu unserem Glück hat der Kühlschrank im Wohnmobil nur begrenzte Kapazitäten.
Sie sind eine schroffe Schönheit die Niagara Falls, eine Symphonie von Blautönen, eine unglaubliche Naturgewalt: die gewaltigen Wassermassen, die mit lautem Getöse von den Klippen stürzen und eine Wolke von Wassertröpfchen hoch aufstieben lassen. Die Niagarafälle sind einer der mächtigsten Wasserfälle der Welt, nicht nach der Höhe, sondern nach dem gewaltigen Volumen des Wassers. Rund 6.400 Kubikmeter Wasser donnern pro Sekunde über die drei Wasserfälle in die Tiefe. Der grösste und beeindruckendste ist der Horseshoe Fall auf kanadischer Seite. Rund 90 Prozent des Niagara-Flusses fliesst über diesen Teil der Niagarafälle.
Die unzähmbare Kraft der donnernden Wasser zieht neben zahlreichen Touristen auch immer wieder Menschen in ihren Bann, die an ihre Grenzen und darüber hinaus gehen möchten und sich leichtsinnig in die Fluten stürzen. Eine der bekannteren, die die wilde Fahrt in einem Fass überlebte, ist die Lehrerin Annie Edson Tyler, die sich 1901 in selbstmörderischer Absicht über die Klippen stürzte, um so nach dem Tod ihres Mannes dem Armenhaus zu entgehen. Wagemutig waren auch die Männer, die sich daranmachten, die Niagarafälle auf dem Seil zu überqueren. Der erste war 1859 der Hochseilartist Jean François „Blondin“ Gravelet. Der Franzose trug bei seinen Tänzen auf dem Seil sogar hin und wieder seinen Manager auf dem Rücken.
Wir stehen am Table Rock, blicken in die schäumenden, brodelnden Kaskaden und spüren die Gischt auf der Haut. Die Sonne lässt wunderschöne Regenbögen an den Wasserfällen erscheinen. Ein echtes Naturspektakel. Um vollständig (und buchstäblich) in das Wasserfallerlebnis einzutauchen, ziehen wir uns einen gelben Plastikponcho über und fahren mit einem Aufzug hinunter in die Niagara-Klippe. Im Tunnel, der am Fuss des Horseshoe Falls in den Felsen gebohrt wurde, spüren wir die donnernde Vibration und hören das beharrliche Dröhnen, verursacht durch das über den Rand strömende Wasser. Auf der unteren Aussichtsplattform stehen wir in Augenhöhe mit den tosenden Wassermassen und lassen uns von ihnen durchnässen. Ein absolut sehenswerter Anblick.
Nördlich der hippen Metropolen und Touristenattraktionen Ostkanadas beginnt die Wildnis. Zuerst noch etwas zögerlich, aber bald bestimmen dichte Wälder die Kulisse. Über sanfte Hügel führen die Stassen oft kilometerweit geradeaus in hässlichen Schneisen durch die vermeintlich unberührte Landschaft. Links und rechts der Strasse mal ein idyllischer dunkler See oder ein Fluss der das vieltönige Grün der Laub- und Nadelbäume unterbricht. Selten mal eine Ansiedlung oder gar eine Stadt.
Auf der Fahrt in den Norden wird der Himmel rabenschwarz. Doch der Wind hat ein einsehen und bläst die schweren Wolken weiter. In Orillia geht es zuerst zum Einkaufen: ins Home Depot gibt es Rostentferner für den Halter des Reservekanisters, etwas für den Magen im Loblaws und im Canadien Tire adblue für Rocky. Anschliessend lassen wir uns auf dem Campingplatz im nahen Bass Lake Provincial Park nieder und sortieren die Sommer und Winterkleider von den Vakuumboxen in die Kleiderkästchen um. Der Sommer ist auch hier definitiv angekommen.
Schwarze, graue und rote Eichhörnchen hüpfen gemütlich an uns vorbei. Hoch von den Bäumen holen sie sich die reifen Ahornsamen. Oder sind dies darum vielleicht gar keine Eichhörnchen sondern Ahörnchen? Dazu sprinten Chipmunks (Streifenhörnchen) um uns herum und üben sich im Speed Crossing über den leeren Nachbarplatz. Der schweisstreibende, 2.8 km lange Hiking Trail bringt uns einmal um den Park. Der nächste Tag ist windig, sturmartig. Die Chipmunks bleiben in ihren Höhlen und auch die Eichhörnchen spielen nicht in den Ästen. Die Bäume ächzen und stöhnen, aber ausser vielen Blätter fallen erstaunlicherweise nur wenige Äste herunter. Wir sind froh. Abends beruhigt es sich auf kleinere Böen.
«Welcome to our lovely town nestled in the heart of Muskoka, Ontario. You will always feel welcome in our inclusive community all months of the year.» (Willkommen in unserer schönen Stadt im Herzen von Muskoka, Ontario. Sie werden sich das ganze Jahr über in unserer integrativen Gemeinschaft willkommen fühlen.) So bewirbt sich das Städtchen Huntsville auf seiner Website und so haben wir unseren Besuch hier auch erfahren. Wir übernachten hier das erste mal an einer privaten Adresse, die uns über die App «Boondockers welcome» vermittelt wurde. Holly und Ken sind ein sehr offenes, liebenswürdiges Paar. Ken führt uns gleich nach unserer Ankunft durch das gepflegte stimmige Grundstück am Fluss. Er zeigt uns den Sitzplatz auf dem hauseigenen Dock und offeriert uns seine Kanus zur freien Benutzung. Holly präsentiert eine Liste, was wir in der Umgebung alles entdecken können.
Nach dem Mittagessen versuchen wir es mit Kanufahren. Es wackelt gefährlich beim Einsteigen. Wie packt man da die Beine und wohin damit? Die ersten Minuten schaukeln wir den Fluss hinauf Richtung Schleuse. Ein Motorboot überholt uns. Wellen…. werden wir dieses Abenteuer nass beenden? Einige Kurven weiter und einige Boote mit Wellen später können wir schon etwas entspannen und die Umgebung geniessen. Links vor der Schleuse sehen wir Stromschnellen und drehen lieber um. Es braucht noch etwas Übung das Kanu geradeaus fahren zu lassen, wir schaffen es aber trocken zurück. Vor dem Haus setzt sich ein Eichhörnchen bei der Jagd nach unseren Sonnenblumenkernen gegen drei Chipmunks und einen Purpur-Grackel durch. Wir geniessen die Sonne und schauen dem lustigen Spiel lange zu. Lange plaudern wir mit Holly und Ken über ihre Erfahrungen in den Parks von Utah und erzählen von unseren Hobbys auf Reisen. Es war wirklich toll hier. Danke Holly und Ken.
Nun wollen wir doch noch ein Wenig von Huntsville sehen. Mit Rocky fahren wir auf den Lions Lookout und flanieren anschliessend durch das schmucke Städtchen. Grosse Wandgemälde verzieren die Häuser.
Etwa 200 km nördlich von Toronto und 250 km westlich von Ottawa liegt der riesige Algonquin Provincial Park, wo man sich vom Trubel der Grossstadt wunderbar erholen kann. Laub- und Nadelwälder prägen die Landschaft des Parks genauso wie schroffe Felswände, Sümpfe und Tausende von Seen. Durch den Süden des Parks führt der Highway 60. Am Strassenrand soll man im Frühjahr manchmal Gelegenheit haben, Moose (Elche) aus nächster Nähe zu beobachten, die in den salzigen Schmelzwasserpfützen der Strasse ihren Nährstoffhaushalt auftanken. Uns zeigt sich leider wieder keines der scheuen Tiere, sind wohl schon zu spät.
Auch ohne Reservation finden wir einen freien Campingplatz im Park. Heute wird zum ersten Mal ein Feuer entfacht. Das Brot backen wir direkt am Feuer. Auch die Sparerips gelingen gut. Wir sitzen draussen und geniessen unser Abendessen begleitet vom Gesang der Vögel.
Etwa 12% des Parks sind zur Wildnis erklärt und bleiben unberührt. Ein grosser Teil des Parks ist jedoch erschlossen für Freizeitaktivitäten. Die weitverzweigte Seenlandschaft ist das optimale Ziel zum Kanufahren und zelten. Und auch Wanderer werden hier glücklich und dazu wollen wir heute gehören. Der 5.8 km lange Bat Lake Trail soll es sein, 3.5 Stunden sind dafür angegeben! Und, man soll dort Moose sehen. Bei der Ausfahrt aus dem Campingplatz springen zwei junge Fischmarder spielend über die Strasse. Das fängt ja vielversprechend an. Es geht in den tiefen Wald, bergan, bergab. Ein Chipmunk freut sich, dass wir neben ihm eine Rast einlegen. Selbstverständlich hat Marcel auch für ihn einige Sonnenblumen Kerne im Rucksack. Frösche quaken lauthals übers Wasser der kleinen Seen, Libellen begleiten uns durch die Feuchtgebiete. Aber kein Moose weit und breit. Dafür greifen uns die Moskitos an, trotz intensiver Behandlung mit Mückenschutz. Gefühlte über 100 Blutspenden haben wir während dem Marsch an die Wilderness abgegeben. Autsch. Bei der Rückkehr ins Camp geht’s direkt an den See. Nach der Schwitzpartie springen wir kurz ins Wasser. Noch etwas kalt, aber erfrischend.
Nach dem gestrigen Bat Lake Trail ohne Moose möchten wir heute wenigsten Biber sehen. Wir machen uns frühmorgens auf den Weg zum Beaver Pond, das soll die beste Zeit sein, um die Tiere zu beobachten. Leider erweist sich der Beaver Pond als Moskitos Pond. Früh aufstehen hat sich nicht gelohnt, ausser für die Mücken. Touristen als Lebendfutter bzw. All you can eat buffet direkt frei Haus geliefert. Welch ein Festmahl für die Biester. Auf jeden Fall macht Wandern so keinen Spass. Zurück beim Campingplatz machen wir uns erst mal Frühstück an der Beach bevor uns eine kurze Abkühlung im See erfrischt.
Mitten in der Landschaft stehen sie, die Screaming Heads, die schreienden Köpfe. Skurril. Screaming Heads of Midlothian ist einer der ungewöhnlichsten Orte in Ontario. Der Bildhauer Peter Camani, ein pensionierter Kunstlehrer (dessen Kunst im Vatikan und im Buckingham Palace hängt), hat über 100 massive Betonskulpturen auf 310 Hektar geschaffen, durch die man hindurchgehen kann. Das Anwesen ist sowohl das Zuhause des Künstlers als auch das Zuhause seiner Skulpturen. Besucher können auf den Pfaden durch Wiesen und Wälder wandern, um die Kunstwerke zu sehen. Doch die Wanderung wirft die Frage auf, warum schreien sie? Weil es so schlecht steht um die Welt? Aus lauter Freude? Oder?
Über die Minenstadt Greater Sudbury fahren wir weiter. Es heisst, hier im Sudbury Becken spielt der Kompass verrückt. Die Nadel soll nach unten ausschlagen statt nach Norden, so viel Metall liegt unter der Erde. Überprüfen können wir es nicht, unser Kompass im Handy reagiert aufs GPS, nicht auf Metall. Tatsächlich werden in der Gegend in grossen Mengen Nickel und Kupfer, aber auch Kobalt, Metalle der Platingruppe, Gold und Silber abgebaut. Das Becken wurde vor 1,85 Milliarden Jahren geformt, als ein Meteorit mit einem Durchmesser von etwa 10 Kilometern auf der Erdoberfläche aufschlug. Durch die Kollision entstand ein Krater mit einem Durchmesser von etwa 250 Kilometern, der mit Magma gefüllt war, das reich an Mineralien und Metallen war. Durch geologische Prozesse wurde der Krater deformiert und in seine heutige, kleinere und elliptische Form von 60 km × 30 km gebracht. Das Sudbury-Becken wurde zufällig entdeckt, als Ingenieure 1885 die Canadian Pacific Railway bauten.
In der Nickelstadt Sudbury steht den auch der Big Nickel. Die vielleicht grösste Münze der Welt, ein kolossales kanadisches Fünf-Cent-Stück (Nickel) mit einem Durchmesser von neun Metern.
Und noch eine Superlative hat die Stadt, wenn auch nicht gerade eine ehrenvolle. Der Inco Superstack der Vale Hütte ist mit einer Höhe von 381 m der zweithöchste Kamin der Erde. Vor dem Bau des CN-Tower in Toronto war es das höchste Gebäude Kanadas. Der Zweck der Konstruktion war äusserst einfach – die Emissionen von Schwefeldioxid und Stickstoff zu reduzieren und sie weiter wegzutreiben. Aber es gibt einen Nachteil. Laut Forschungsgeologen wurden fast 7’000 Seen in der Umgebung von Inco Superstack kontaminiert. Bodenproben zeigten kritisch gefährliche Konzentrationen von Blei und Abbauprodukten. Vor zwei Jahren wurde er deshalb aus Umweltschutzgründen durch moderne Technologien ersetzt und ausser Betrieb genommen. Während der nächsten Jahre soll er allmählich zurückgebaut werden.
Der Campingplatz Stanley Park auf Manitoulin Island, der grössten Insel in einem Süsswassersee, verspricht virtuell keine Mücken zu haben. Genau das Richtige für ein entspanntes Wochenende. Und dann auf dem Weg dorthin entdecken wir sie. Auf einem Feld stehen sie, ganz in der Nähe der Strasse. Nein, nicht die Moose, leider nicht, dafür eine grosse Schar von Sandhill Kranichen. Lange stehen wir am Strassenrand und beobachten unsere Glücksvögel. Sie sind etwas dunkler als die europäischen, etwas brauner vielleicht, aber ihre Statur, ihre Flügel, ihr Gehabe und natürlich ihr Flöten entspricht ganz genau. Zumindest in Sachen Mücken haben sie uns dann fürs Wochenende Glück gebracht. Auf dem idyllischen Familiencampingplatz waren wirklich kaum welche zu sehen.
Wir fahren wieder auf dem Trans-Canada Highway nach Westen und finden im Chutes Provincial Parc einen ruhigen Campingplatz am Fluss Aux Sables. Eine kurze, entspannte Wanderung gibt eine herrliche Sicht auf malerische Wasserfälle und Stromschnellen. Wir befinden uns hier, wie auch schon auf Manitoulin Island, auf dem Land der First Nation. Vieles ist hier neben englisch und französisch auch in der Sprache der Ureinwohner Kanadas angeschrieben. Und noch einmal sind wir auf ihrem Land zu Gast, im Ojibway Park in Garden River First Nation. Der Park nennt sich «Home of Laughing Water Beach», Heimat des lachenden Wasserstrand. Uns ist nicht gerade zum Lachen zumute, es regnet.
Die vorläufig letzte Station in Kanada ist Sault Ste. Marie. Hier entdecken wir viel Interessantes im Canadian Bushplane Heritage Center. Es illustriert die Geschichte des Buschfliegens und der Waldbrandbekämpfung im Norden Ontarios. Das Museum verfügt über restaurierte Flugzeuge, die von innen und aussen erkundigt werden können. Eine 3D-Präsentation erzählt die Geschichte, wie Waldbrände sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus bekämpft werden.
Der gesamte Schiffsverkehr in den oder aus dem Lake Superior muss durch die Schleusen des St. Mary’s River bei Sault Ste. Marie. Der Fluss ist die einzige Wasserverbindung zwischen dem Lake Superior und den anderen Grossen Seen. Er bildet zudem die Grenze zwischen Kanada und den USA. Vor Sault Ste. Marie liegen die St. Marys Rapids, Stromschnellen in denen das Wasser etwa 7 m vom Niveau des Lake Superior auf das Niveau des Lake Huron fällt. Dieses natürliche Hindernis für die Schifffahrt machte den Bau von Schleusen erforderlich. Die alten Schleusen auf der kanadischen Seite werden nur noch von Vergnügungsbooten und Ausflugsbooten durchfahren und können aus nächste Nähe beobachtet werden. Ein Spaziergang führt uns direkt über die Schleusentore auf eine kleine Insel und bis zu den Stromschnellen. Von hier aus können wir auch die Brücke in die USA gut sehen.
Morgen wollen wir den St. Mary River auf dieser Brücke überqueren und in die USA einreisen. Unser Kühlschrank ist leer, bis auf zwei Wasserflaschen. Unsere Lebensmittelvorräte sind weitestgehend aufgebraucht. Alle Dokumente liegen bereit. Trotzdem sind wir etwas nervös vor unserem ersten Grenzübertritt auf unsere Reise. Wird schon schief gehen.