01. Juni bis 30. Juni 2025
Wie jeden Dienstag erwacht Silvia im kolumbianischen Departement Cauca zum Leben. Der stille Ort mit seinen flachen, ziegelgedeckten Häusern verwandelt sich in einen quirligen, farbenprächtigen Basar. Es herrscht ein ständiges Treiben, handeln und schachern mit Waren. Frisches Gemüse, leckeres Obst der Saison, wie z.B. Heidelbeeren oder Brombeeren, aber auch zahlreichen verschiedenen Kartoffelarten, deren Vielseitigkeit und Farbenfrohheit wir staunend zur Kenntnis nehmen. Kleidung, Kopfkissen, Werkzeugbedarf – fast alles an täglichem Bedarf wird angeboten und gekauft. Auch ein Stand für Naturmedizin und Heilkräuter darf nicht fehlen. Kika von der Finca Bonanza führt uns über den Markt und zeigt uns so einige unbekannte Früchte und Gemüse.
Der Markttag dient auch als Treffpunkt für die indigene Gemeinschaft der Guambiano, einer der grössten und traditionsreichsten indigenen Gruppen Kolumbiens. Obwohl ein enger Kontakt zur westlichen Welt besteht, hütet das Volk seine Identität und Bräuche wie Augäpfel und spricht außer Spanisch nach wie vor seine Muttersprache. Die Guambianos leben fast autark auf und von ihrer Heimaterde. Es gilt das eigene Gesundheitssystem, ein eigenes Justizsystem und auch die Schule wird nach ihren Regeln geführt. Ein wichtiger Ausdruck ethnischer Zugehörigkeit ist für Guambianos die einheitliche Kleidung: Männer tragen Filzhüte, kurze blaue Röcke und dunkle Ponchos, Frauen weite schwarze Röcke, einfarbige Blusen, blaue Tücher über den Schultern sowie imposante chaquíra-Perlenketten.
Nur wenige der Besucher vom Land können sich ein eigenes Auto leisten, entsprechend wird der Chiva, der offene Überlandbus ohne Fensterscheiben, mit seinem stabilen Dach und dem geräumigen Heckträger zum öffentlichen Transportgefährt. Während sich um die Mittagszeit die älteren Besucher zahlreich auf der Plaza zum Schwatz und Informationsaustausch versammeln, verladen die kräftigeren Marktbesucher ihre Einkäufe für die Rückreise in die Chivas oder schnüren sie auf deren Dächern fest.
Wir bleiben noch ein paar Tage auf der familiären Finca Bonanza, wo wir das erste Mal seit langer Zeit auf andere Overlander treffen. Da die meisten jedoch französisch sprechend sind, bleiben unsere Unterhaltungen eher kurz.
Popayán passt ganz gut in unsere Reiseroute. Die strahlend weisse Kolonialstadt ist sicherlich die schönste Stadt im Süden Kolumbiens. Das gut erhaltene historische Zentrum mit seinen zweistöckigen Gebäude, Kopfsteinpflasterstraßen und Barockkirchen weiss uns bei unserem kurzen Besuch zu gefallen. Wegen der weiß getünchten Fassaden wird die Provinzhauptstadt auch „Ciudad blanca», die weisse Stadt, genannt.
Das Herz von Popayán ist der Parque Caldas mit seinen hohen Palmen. Die schneeweisse Basílica Metropolitana Nuestra Señora de la Asunción ein an der Südwestseite des Parks wurde schon viermal von Erdbeben zerstört und viermal wieder liebevoll erneuert. An der Ecke steht der aus 96’000 Ziegeln errichtete Torre del Reloj mit der aus London importierten Bronzeuhr. Das Fehlen eines Minutenzeigers soll ein Beweis dafür sein, dass in der weißen Stadt die Zeit stillsteht.
Vor uns liegt die zweite Überquerung der mittleren Andenkordilliere. Die sparen wir uns jedoch für morgen. Kurz hinter Coconuco schwenken wir ab auf einen 4 km langen, unbefestigten Feldweg hinauf zu den Termales Salinas. Die Lufttemperatur ist recht frisch hier auf fast 2’800 Meter über Meer, doch ein wohliges Bad in den heissen Quellen von Salinas wärmt uns wieder auf. Danach heisst es schnell die Badehose mit den warmen Kleider tauschen.
Nach der ruhigen Nacht geht es zurück zur Hauptstrasse, die bald kräftig auf eine Hochebene ansteigt. Die Aussicht ist einfach phänomenal. Bergbächlein mit moorschwarzem Wasser schlängeln sich durch die Wiesen. Weite, grüne Hügel mit Wäldern bestimmen das Bild, mit dem Vulkan Puracé im Hintergrund. Wir sind auf 3’000 m angekommen. Auch auf dieser Höhe passieren wir noch immer kleine Ansiedlungen mit bunten Häuschen.
Dann wird aus Wiesen und Zivilisation ein Hochmoor. Es wird neblig, es herrscht eine eigene Stimmung. Beidseitig der Strasse wachsen Frailejónes, eine Pflanzenart, die es fast nur hier gibt. Verschiedene Bauerngemeinschaften nennen sie „den Mönch des Moors“ , da die Pflanze vom Aussehen her Mönchen ähnelt. Sie wächst zwischen 1 und 2,5 Zentimeter pro Jahr, womit es bis zu 100 Jahre dauern kann, bis sie ihre maximale Höhe erreicht. Die Frailejónes nehmen Wasser über ihren schwammartigen Stamm auf und geben es über die Wurzeln wieder ab. Bis zum 25-fachen ihres Gewichts können sie an Wasser speichern und sind damit überaus wichtig für das Ökosystem der Region.
Kurze Zeit später fahren wir in den Nebelwald. Hier hat Erika genügend Zeit, die immense Vielfalt an Grüntönen und Blattformen der dichten Pflanzenwelt zu genießen. Und mitten daraus schimmern rot, gelb, blau, rosa Blüten. Auch die Tierwelt soll umfangreich sein. Wir sehen die Brillenbären, Tapire und viele andere leider nur auf den gelben Warnschildern.
Marcel hat für all das keine Weile, seine volle Aufmerksamkeit gilt zwangsläufig der Strasse. Wir waren vorgewarnt. Die Asphaltstrasse hat sich in eine üble Piste gewandelt, die ganz schön fordert. Reicht es im Slalom um die riesigen Schlaglöcher, oder doch besser abbremsen und durch die Löcher? Kann er auf der linken Strassenseite den tiefen Löchern in der Kurve ausweichen oder kommt gerade ein Sattelschlepper im vollen Tempo entgegen? So dauert unsere Fahrt auf den 32 km Schotterstrasse ganze 3 Stunden.
Wir sind schon lange wieder auf einer schönen, betonierten Strasse, als wir 2’000 m tiefer einmal mehr den Río Magdalena überqueren. Der Fluss, der sich durch fast ganz Kolumbien zieht, hat hier in der Nähe seinen Ursprung.
Hier im fruchtbaren Quellgebiet des Magdalena Flusses bestand zu vorkolumbianischer Zeit eine Zivilisation, die San Agustín als Zeremonienstätte nutzte. Bei unserem langen Rundgang durch den archäologischen Park in San Agustín bestaunen wir grosse Stelen aus vulkanischem Basalt. Grabhügel, mit Steinplatten gedeckte Gräber und dazwischen die Figuren aus Stein. Ein Bächlein wurde über eine grosse Lavaplatte geleitet, die Fuente del Lavapatas, ein zeremonieller Badeort. In den Stein geschlagene Figuren und Rillen lassen das Wasser tanzen. Mehr als 500 Skulpturen sind über die Region verteilt. Sie stammen aus einer Zeit vor 5’000 Jahren. Wem genau und zu welchem Zweck die Anlage gedient hat, wissen die Forscher immer noch nicht.
Schon wieder sind wir im «falschen» Andental und müssen wieder über die mittlere Kordilliere. Die Verbindungsstrasse von Mocoa nach Pasto schlängelt sich durch Dschungel und Abgründe im Süden Kolumbiens und trägt den Spitznamen «Trampolin de las Muertes». Ihre Enge, die scharfen Kurven und die Abgründe machen sie zu einer der gefährlichsten Strecken des Landes. Die Ursprünge dieser Straße reichen bis in die 1930er Jahre zurück, als sie von Missionaren gebaut wurde, um indigene Gemeinschaften zu erreichen. Seitdem hat sie sich von einem Reitweg zu einer Route entwickelt, die von Fahrzeugen aller Art genutzt wird. Ihre Infrastruktur ist jedoch nach wie vor instabil, mit langen unbefestigten Abschnitten und erdrutschgefährdeten Gebieten.
Doch jenseits ihres Rufs als gefährliche Straße ist sie auch ein Paradies der Artenvielfalt und atemberaubender Landschaften, die jeden in ihren Bann zieht, der sie befährt. Die Landschaft ist, wie die gesamte Strecke, unglaublich. Man kommt an Flüssen und Wasserfällen vorbei, es ist durchwegs eine malerische Strecke. Wir befahren das «Sprungbrett des Todes» bei gutem Wetter und sind positiv überrascht vom guten Zustand der Strasse. Speziell die engen Serpentinen zu Anfang der Strecke, die uns einen weiten Blick hinunter ins Tal erlauben, können wir schon fast geniessen. Nur wenn ein Fahrzeug entgegenkommt, kann es ungemütlich eng werden. Nach 4.5 Stunden, 60 km und 4’700 Höhenmeter stetigem auf und ab, haben wir wieder Asphalt unter den Rädern.
Eine weitere Passquerung später, die Strasse führt einmal mehr durch ein riesiges Feld von Frailejónes, erreichen wir die Laguna de la Cocha. Dieses Naturjuwel, umgeben von hohen Bergen, ist bei Touristen aus ganz Kolumbien sehr beliebt. Insbesondere der kleine Ort El Puerto mit seinen malerischen Holzhäusern an den Kanälen wird gerne besucht. Unzählige kleine Boote laden zu einer Bootsfahrt auf den ruhigen See mit der Insel La Corota im Zentrum, einem kleinen Naturparadies.
Wir finden schnell ein Platz zum Übernachten auf dem Parkplatz mitten im Ort und machen uns auf zu einer Erkundungstour. Aber irgend etwas stimmt hier nicht. Es sind kaum Touristen da, viele der Souvenirshops und der über 20 Restaurants und Cafés sind geschlossen. Es wirkt ausgestorben. Schon bei der Einfahrt ins Dorf haben wir bemerkt, dass viel Schlamm auf den Feldern liegt. Einige Häuschen, obwohl auf Stelzen, stehen im Wasser. Recherchen ergeben, dass nach übermässig starken Regenfällen am Nachmittag des Freitags, 7. März, mindestens drei Bäche über die Ufer traten. Eine Lawine mit großen Mengen Schlamm, Steinen und Baumstämmen erreichte mehrere Häuser in der Nähe der Lagune La Cocha und verursachte erhebliche Schäden. Wir hoffen, dass die Touristen bald zurückkommen, beziehen doch die meisten Einwohner ihren Lebensunterhalt von der Tourismusbranche.
Das Santuario de Nuestra Señora del Rosario de Las Lajas ist eine der bedeutendsten Kathedralen der Welt und liegt nahe der kolumbianischen Stadt Ipiales, unweit der ecuadorianischen Grenze. Es ist ein atemberaubendes Bauwerk mit gotisch angehauchter Architektur, erbaut an einer Klippe in einer Schlucht, was ihm einen märchenhaften Reiz verleiht.
Dort wo heute die Wohlfahrtskirche steht, ereignete sich im Jahr 1754 ein wundersames Ereignis. Maria Muesces de Quiñonez und ihre taubstumme Tochter Rosa suchten während eines Gewitters Zuflucht in einer Höhle in den riesigen Schieferfelsen Las Lajas, die angeblich vom Teufel bewohnt war. Dort sahen sie an einer Höhlenwand ein Bild der Jungfrau Maria. Das Mädchen rief ihrer Mutter zu, sie solle auf das Bild schauen. Doch dann bemerkte sie, dass sie sich selbst hören konnte. Man glaubt, die Erscheinung der Jungfrau Maria habe sie geheilt.
Wir suchen Zuflucht im Casa Pastoral und bekommen zur Begrüssung einen Becher Milch frisch ab Ziege und für die Nacht einen aussichtsreichen Stellplatz mit Sicht auf die kitschig beleuchtete Basilika.
Nach dreieinhalb Monaten verlassen wir Kolumbien. Unspektakulär und ohne grosse Wartezeiten melden wir uns an der kolumbianischen Grenze ab und in Ecuador wieder an.
Unsere erstes Reiseland in Südamerika hat uns sehr gut gefallen. Was durften wir nicht alles entdecken, erleben und geniessen: Riesengrosse Städte, schmucke Dörfer, tiefe Canyons, hohe Berge, karibikblaue Strände und reissende Flüsse. Besonders in Staunen versetzt hat uns immer wieder, wie die indigene Landbevölkerung in grosser Höhe auf oft fast vertikal ausgerichteten Feldern, die wie Flickenteppiche ganze Hügel überziehen, Kaffee, Plátanos, Mais, Maniok sowie Zuckerrohr für die Panela Produktion anbaut. Muchas Gracias Kolumbien, du hast uns sehr gefallen.
ECUADOR
Gleich in der ersten Stadt nach der Grenze erwartet uns ein ungewöhnliches, aber faszinierendes Touristenziel. Das Cementerio Municipal de Tulcán ist einer der wenigen Friedhöfe weltweit, der aufgrund seiner lebendigen Kunst als Touristenattraktion gilt. Dank des Talents und der Hingabe der Gärtner werden durch das kunstvolle Beschneiden der Zypressen wahre Kunstwerke geschaffen. Die grünen Zypressenskulpturen sind Nachbildungen von Figuren aus der präkolumbischen, augustinischen und arabischen Zeit.
Wie viele andere Overlander zieht es auch uns erst mal zur Finca Sommerwind bei Ibarra. Hier betreibt Hans aus Deutschland seit 15 Jahren ein Paradies für Reisende. Hier treffen wir Gleichgesinnte und können uns austauschen. Hier gibt es Leberkäs, Currywurst und Wiener Schnitzel. Olga, die Volontärin, organisiert einen gemeinsamen Ausflug zum Mirador San Miguel Arcangel, von wo aus wir einen weiten Blick auf die Stadt Ibarra und den Laguna de Yahuarcocha geniessen. Am Abend braten wir zusammen mit den andern ein feines Stück Fleisch am Feuer, Hans spendet die Pommes. Ein Treffen von Overlandern ist auch immer ein Zusammentreffen von Spezialisten. Wir haben grosses Glück. Stephan aus Mülheim an der Donau kann unsere Webasto Zusatzheizung wieder zum Leben erwecken. Danke Stephan.
Nicht nur in Alaska gibt es Bären, auch in den nördlichen Anden Ecuadors. Nach einer ständigen Fahrt auf buckligen Kopfsteinpflaster erwartet uns Danilo Vásquez am Mirador del Oso Andino. Seit mehreren Jahren beobachtet er Andenbären, die aus den feuchten Bergwäldern herunterkommen, um sich an feinen Früchten im kultivierten Teil der Gemeinde Mariano Acosta satt zu essen.
Der Andenbrillenbär ist eines der größten und am stärksten bedrohten Wildtiere der Anden und der einzige Vertreter der echten Bären in Südamerika. Derzeit ist die größte Gefahr für sein Überleben der Verlust seines Lebensraums durch die Ausweitung der Landwirtschaft und Viehzucht.
Auf der gegenüberliegenden Talseite von Aussichtspunkt kann man die Bären das ganze Jahr über beobachten. Während wir noch nicht richtig wissen, auf was wir uns konzentrieren müssen, hat Danilo bereits die ersten Bären mit seinem Teleskop eingefangen. Jetzt sehen wir sie auch. Sie sind weit weg, von bloßen Auge nur als schwarzer Punkt erkennbar. Fast zu weit für unsere Kameras, aber mit dem Fernglas lassen sie sich gut beobachten. Wir staunen nicht schlecht, wie locker die behäbig wirkenden Bären auf den Bäumen herumturnen. Noch mehr bewundern wir, wie sie den beinahe senkrechten Felsen hinauf und kopfvoran wieder runter kraxeln. Frühmorgens gehen wir noch einmal zum Mirador. Direkt unter uns klettern zwei Bären im Baum und versuchen an die reifen Früchte zu kommen.
Bei unserem ersten Einkauf in Ecuador, entdecken wir neben Toni Jogurt auch Käse von Floralp. Beides sind ecuadorianische Produkte, aber die Logos und Schriftzüge sind identisch denjenigen, die wir aus der Schweiz kennen. Natürlich kaufen wir etwas Käse. Der Geschmack überrascht, schon sehr lange haben wir keinen so leckeren Hartkäse mehr gegessen. Wir finden auch die Molkerei Floralp in Ibarra, die vom Schweizer Oskar Purtschert Scheidegger gegründet wurde und decken uns im Fabrikladen mit 2 Kilo Käse ein.
Auf dem Platz La Playita-Camuendo am Lago San Pedro richten wir uns für die Nacht ein. Der indigene Platzwart Josealito spielt uns zur Begrüssung ein Ständchen auf der Mandoline und der Geige und erzählt von seinen Reisen als Musiker durch die ganze Welt.
Für 40 Cent bringt uns am Samstagmorgen der lokale Bus auf den Tiermarkt in Quinchuquí. Auf dem lokalen Markt werden Hühner, Enten, Meerschweinchen, Schweine, Rinder und Schafe gehandelt. Das Tiere dabei nicht ganz nach europäischen Tierschutzgesetzen gehalten werden, war zu erwarten. Es ist wirklich interessant, den Einheimischen bei ihren Geschäften zuzusehen, auch wenn nur noch wenige ihre traditionelle Kleidung tragen. Marcel’s Versuch um ein Kalb zu feilschen, scheitert kläglich. Die Preise für unerfahrene Gringos sind einfach zu hoch.
Im völlig überfüllten Bus fahren wir weiter ins Zentrum von Otavalo. Schon in den Strassen vor der Plaza de los Poncho werden unsere Sinne überwältigt. Leuchtende Farbenpracht, der Lärm der Händler, die Preise ausrufen, spielende Kinder und jede Menge Dinge auf überfüllten Ständen. Alpaka- und Lama Pullover, bunte Ponchos, handgewebte Gürtel, Wandteppiche und Decken mit Guanakos und Lamas, wunderschön geschnitzte Statuen, Schmuck, Blumen, Teppiche und Körbe. Glück für unseren Geldbeutel, dass wir nicht mehr Platz im Rocky haben.
Der farbige und lebendige Otavalo-Markt gilt als der größte Markt Südamerikas. Die Menschen dieser Region waren schon vor der Inkazeit Weber und Kunsthandwerker. Die meisten Dinge werden noch immer von den Ureinwohnern handgefertigt, die in den umliegenden Dörfern leben und ihr Handwerk seit Jahrzehnten weitergeben.
Von irgendwo hören wir Musik und folgen den Tönen bis zur Plaza Cívica Intercultural «Los Portales». Hier ist ein Inti Raymi Ritual im Gange. Das lassen wir uns nicht entgehen. Das Ritual wird zur Sommersonnenwende als Dank an Pacha Mama für die Güte der Ernte durchgeführt und soll die Fruchtbarkeit von Mutter Erde und ihrem Sonnengott hervorheben. Es wir musiziert und getanzt. Dann folgt, mit einbezogen der Zuschauer, ein Dankesritual in alle Windrichtungen.
Ein geschichtsträchtiger Tag, zumindest für uns. Heute, am 22. Juni 2025 überschreiten wir den Äquator, die Mittellinie der Erde. Entlang dieser imaginären Linie bleiben die Tage unverändert, es gibt keine Jahreszeiten und zweimal im Jahr nicht einmal einen Schatten. Wir tun den grossen Schritt in Ecuador, dem Land, das von der Linie seinen Namen hat und dem einzigen Gebiet der Erde, in dem der Äquator an festen, natürlichen Orientierungspunkten verläuft: an den Gipfeln der Anden. Wir überqueren die Mitte der Erde auf der Reloj Solar Quitsato, einer großen Sonnenuhr mit einem Durchmesser von 52 Metern, umrahmt von einem Agavengarten. Hier ist der Äquator als Linie sichtbar gemacht, mit modernsten Instrumenten genauestens vermessen. Das grosse Steinmosaik visualisiert auch die verschiedenen Linien der Sonnenwenden, der Tagundnachtgleichen sowie die Stunden des Tages. Diese werden durch die Projektion des Schattens eines großen, 10 Meter hohen Pfostens markiert, der sich genau in der Mitte der großen kreisförmigen Plattform befindet.
Eindrücklich illustriert, erfahren wir von unserem Guide die interessante Geschichte geodätischer Missionen in den Äquatorialanden und die große Bedeutung der Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen auf der Welt. Wir wissen jetzt auch, dass unsere Weltkarten, von der Erde aus betrachtet, eigentlich falsch orientiert sind. Die Erdrotation betrachtend, mit der aufgehenden Sonne im Osten, liegt «Osten» oben. Entsprechend ist «Norden» nicht oben, sondern links vom Äquator und «Süden» eben nicht unten, sondern rechts. Logisch, nicht.
Der geschützte Wald Nambillo bei Mindo gilt als einer der Orte mit der größten Artenvielfalt der Welt. Ein Paradies in Ecuador. Wir buchen bei Bird Paradis Tours eine Vogelbeobachtungs Tour. In der Morgendämmerung fahren wir los in den Wald. Wir amüsieren uns an unserem Guide Sandy, die jede mögliche Vogelsprache kann. Aus dem offenen Fenster pfeift sie den verschiedenen Vögel und springt bei Sichtung schnell aus dem Auto, um uns gleich darauf den Pipmatz im Teleskop zu präsentieren.
Sie zeigt uns verschiedenste Tangare, Tyranne, Späher, Spechte. Kolibris fliegen pfeilschnell an unseren Köpfen vorbei zur nächsten Blume. Ein Paar Zweifarbhabichte ist mitten im Wald auf Futterjagt. Der Klagetagschläfer träumt auf einem Bambusstumpf, hatte wohl eine lange Nacht. In der Ferne hören und sehen wir Tukane. Das absolute Highlight ist der unterhaltsame Keulenschwingenpipra. Das Balzverhalten des Männchen ist einzigartig. Sie hüpfen und stolzieren in Bäumen an bevorzugten Balzplätzen, schlagen mit den Flügeln nach oben und erzeugen durch die Vibration ihrer Federn mit unglaublich hoher Geschwindigkeit laute Piep töne.
Einem Tipp von Sandy folgend fahren wir auf einer schmalen, holprigen Strasse noch weiter in den Nebelwald zur Bellavista Cloud Forest Reserve & Lodge. Hier werden die Vögel gefüttert, entsprechend sind viele anzutreffen. Ha, was sind wir doch für Glückspilze. Den blauen Leistenschnabeltukan soll man nur selten sehen und uns zeigen sich gleich zwei, kaum sind wir angekommen. Den Nachmittag verbringen wir bei den Hummingbird Feedern, wo uns die schimmernden Kolibris um die Köpfe schwirren.
Der Wecker ruft. Es sausen schon viele Vögel um Rocky herum. Schnell ziehen wir uns an und gehen an die Futterstelle. Es herrscht Hochbetrieb, im wahrsten Sinne des Wortes ein buntes Treiben, alle sind sie da. Rotstirntangare, Schwalbentangare, Blauflügel Bergtangarn, Starkschnabel Baumsteiger, Braunstirn Maskentyrann, Larvenwaldsänger, Zimttyrann, Türkishäher. Der Besuch des seltenen Tukanbartvogel lässt die Herzen aller anwesenden Birder höher schlagen. Und dann sind da noch die Eichhörnchen, die sich ihren Teil der Früchte holen.
Nach einem Morgenkaffee geht es zum Waldbaden. Wir tauchen ein in den Nebelwald, mit allen Sinnen genießen wir die herrliche Natur. Wie Perlen glitzern die Wassertropfen auf den Moosen. Die Bäume sind dick eingepackt damit und alle möglichen Kletterpflanzen schlängeln ihnen empor. Epiphyten strecken ihre Kronen dem Licht entgegen. Grün in allen Nuancen, Blättern in allen möglichen Grössen und Formen lassen uns staunen. Ab und zu umspielt ein süsser Duft von Blüten unsere Nasen. Vögel zwitschern und lassen uns die Ohren spitzen. Sogar den Ruf des Göttervogels Quetzal vernehmen wir, aber sehen lässt er sich wiederum nicht. Dafür stehen die Mücken Schlange am «all you can eat european braekfast buffet». Aber wir haben vorgesorgt. Für sie gibt’s nichts zum Frühstück.
Der Mittelpunkt der Erde ist hier in Ecuador an verschiedenen Stellen zu erreichen. Einen interessanten haben wir bereits besucht. Heute liegt ein weiterer auf unserem Weg. In Mitad del Mundo geht es weniger wissenschaftlich, dafür umso touristischer zu. Vor lauter Souvenirshops und Restaurants können wir die Äquatorlinie erst gar nicht finden. Doch dann laufen wir auf der Mitte der Erde zum grossen Denkmal, das an die erste französischen geodätischen Mission zu erinnert, die zwischen 1736 und 1744 stattfand. Tausende von Touristen haben an diesen Ort bereits einen Fuß in jede Hälfte des Planeten gesetzt.
Doch alle sind sie falsch. Moderne Vermessungsmethoden haben gezeigt, dass sich der wahre Äquator etwa 240 m nördlich des Monuments befindet. Wer sich also breitbeinig über die gelbe Linie beim Monument stellt, steht in Wirklichkeit mit beiden Beinen fest auf der Südhalbkugel.
Bei einem kurzen Besuch im CoDa Vista Camping hoch über Quito klären wir, wo Rocky auf uns warten kann, wenn wir nächsten Monat die Galapagos besuchen. Frei dazu gibt es eine super Aussicht auf die Großstadt Quito bei Tag und bei Nacht.
Mit seinem perfekt symmetrischen Kegel und dem schneebedeckten Gipfel ist der Vulkan Cotopaxi ohne Zweifel eine der natürlichen Schönheiten der Anden Ecuadors. Sein Gipfel mit dem 800 x 550m grossen Krater liegt auf einer Höhe von 5’897 Metern. Damit ist er der zweithöchste Gipfel Ecuadors und einer der höchsten aktiven Vulkane der Welt. Schade nur, dass sich der schöne Koloss meist in Wolken hüllt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Vulkan zumindest einmal in seiner ganzen Grösse zu sehen. So postieren wir uns an der Laguna de Limpiopungo im Cotopaxi Nationalpark. Stundenlang starren wir auf Wolken und Nebelschwaden, die in interessanten Bewegungen vor uns vorbeiziehen. Doch der Berg hält sich dezent zurück. Nach einer kalten Nacht auf über 3’800 m dann am Nachmittag des zweiten Tages die Einsicht. Der Cotopaxi präsentiert sich im Sonnenschein vor blauem Himmel, auch wenn Teile des Vulkan sich immer noch hinter weissen Wolken verstecken. Eine Wanderung um die Lagune mit all den schönen Blumen rundet das Unternehmen Cotopaxi ab.
Trotz Mengen von Coca Tee spüren wir die grossen Höhen. Noch vor Dunkelheit fahren wir wieder ins Tal, auch wenn dieses immer noch auf über 3’100 Meter liegt. Bevor es wieder in die Höhe geht, lassen wir uns ein paar Tage bei Ismael auf der Finca Cuello de Luna verwöhnen. Der Bergsteiger aus Horgen am Zürichsee, ein Freund von Marcels Bruder Urs und dessen Frau Gaby, betreibt hier mit seiner Familie seit vielen Jahren eine grosse Finca mit einem Hotel. Nach einem feinen Abendessen im Restaurant setzen wir uns bei einen Glas Wein zusammen vor den offenen Kamin und wissen uns gegenseitig viel Interessantes zu erzählen.

01.05.2025 – 31.05.2025