Spanien Teil 3

21. Dezember 2021 bis 27. Januar 2022

Na ja, so haben wir uns unser Weihnachtsfest im warmen Süden eigentlich nicht vorgestellt. Es regnet, und das nicht zu wenig. Unser Stellplatz verwandelt sich in ein schlammiges Irgendwas. Zum Glück fliesst auf unserer Parzelle wenigstens das Wasser ab (auf die unbewohnten Nachbarparzellen gegenüber). Wir fahren kurz nach Barbate zum Einkaufen unseres Weihnachtsmenues. Beim Einfahren zurück auf unsere Parzelle gibt es eine Schlammschlacht. Der Platz ist so aufgeweicht, dass die Räder im Matsch durchdrehen und seitlich wegrutschen. Rocky’s Geländegang muss es richten.

So feiern wir Heiligabend im Stillen in unseren «vier Wänden» mit einem feinen Steak aus der Bratpfanne und Gratin aus dem Omnia. Dazu ein feiner Rotwein aus Frankreich, entsprechende Weihnachtsbeleuchtung und spanische «Weihnachtslieder» aus dem Radio. Was will man mehr!? Über WhatsApp gibt es auch einen kleinen Schwatz mit unseren Kindern zu Weihnachten in Bild und Ton.

Es kommt kein Wasser mehr. Nein, nicht vom Himmel, sondern aus unseren Wasserhähnen. Auch die Toilettenabluft (SOG) funktioniert nicht mehr. Auf so ein Weihnachtsgeschenk hätten wir gerne verzichtet. Es ist schon fast dunkel und so kann Marcel nach Konsultationen der Bedienungsanleitung gerade noch feststellen, dass die Sicherung der Wasserpumpe durchgebrannt ist. Am nächsten Tag stellen wir schnell klar, dass die Wasserpumpe der Bösewicht ist. Zum Glück haben wir Ersatz dabei. Auch der Austausch in sehr engen Platzverhältnissen geht besser als angenommen und bald fliesst das Wasser im Wohnmobil wieder, sogar besser als zuvor.

Auch für die nächsten Tage ist Regen und Sturm angesagt. Zu unserem Glück hält sich das Wetter aber nicht an die Vorhersage, so dass wir jeden Tag unseren ausgiebigen Standspaziergang im Trockenen geniessen können. Und natürlich wollen auch immer unsere Vögel gefüttert sein. Sie stehen jeden Morgen bereits vor unsere Türe Schlange.
Der ganze Strand ist seit dem Sturm mit schwarzen Stückchen übersät. Plastik? Nein, plötzlich sehen wir welche aus denen bereits Sprossen austreiben. Mit Googlen finden wir heraus um was es sich handelt. Es sind Samen der Dünen-Trichternarzisse oder Strandlilie.
Auch heute ist ein Strandspaziergang angesagt. Es ist schön warm und wir setzen uns auf einen Sandhügel. Zwei «Lucieschnecken» schauen uns aus grossen Augen an. Unsere Fantasie nimmt uns mit. Wir beginnen im Kleinen mit StrandArt …. Gesichter aus Muscheln und Steinen.

Ein Ausflug bringt uns nach Vejer de la Frontera, einem der weissen Dörfer Andalusiens. Einer Schweizer Bergstrasse ähnlich, schlängelt sich die Zufahrt hoch zum Dorf. Der Ausblick auf die Ebenen ist wunderschön. Die Salzlagunen und das Marschland auf der einen Seite, auf der anderen Seite weite Felder, die nach dem Regen der letzten Tage ein saftiges Grün angenommen haben. Vom Meer her zieht der Sprühnebel ins Landesinnere.
Vejer ist ein weisses Dorf wie man es sich vorstellt: blendend weisse Häuser, schmale schmucke Gässchen, kleine Plätze mit Restaurants, dazwischen eine Kirche. In jedem Frühjahr werden die Häuserwände frisch gekalkt. Bei dem Blick von dem Hügel der Neustadt auf die Altstadt fällt auf, mit dem Weiss der traditionellen Gebäude kontrastieren nur die drei höchsten Gebäude. Diese zeigen den blanken Stein: das Castillo, die Kirche und die Stadtmauer, die über einen Kilometer den höchsten Kern der Altstadt umschlingt.
Auf der Plaza de España, mit dem farbenfrohen aus Kacheln gestalteten Brunnen in der Mitte, wird aufgebaut was das Zeug hält. Verschiedene Absperrungen sind auf den Strassen bereits aufgestellt. Morgen soll das alte Jahr verabschiedet und das neue Jahr begrüsst werden. Eine grosse Party und Feuerwerk sind angesagt. Sogar das Fernsehen soll live übertragen.

Weiter geht’s zum Einkaufen. Etwas zum Anstossen auf das neue Jahr brauchen wir noch und für die nächsten Tage Gemüse, Obst usw. Wir schmunzeln! In Spanien werden am Silvester mit den 12 Glockenschlägen um Mitternacht, 12 Trauben gegessen. Das soll Glück bringen. Die Trauben erhält man im Supermarkt essbereit verpackt im Uhrenlook. Auch staunen wir wieder einmal beim Fleischregal. Nicht nur die Preise sind unfassbar günstig, auch die Auswahl zeigt das andere Verhalten und Verständnis beim Einkauf. Stücke, die man in der Schweiz nie sehen kann, liegen hier zur Selbstbedienung im Regal. Von Hühnerfüssen über Schweineohren oder halben Spanferkeln sieht man alles. Was sind wir verwöhnt. Vollgepackt für die nächsten Tage fahren wir zurück zu unserem Plätzchen in Zahara de los Atunes.

Den Übergang ins neue Jahr wird dann am Ende noch fast ein wenig stressig. Der Champagner steht bereit, die 2 mal 12 Trauben auch. Aber wo findet wir eine Uhr, die 12 mal schlägt? Wir haben Glück und finden gerade noch etwas im Internet. Dann also die Trauben. Schon nach dem dritten Schlag und der dritten Traube ist der Mund fast voll. Wie machen das die Spanier nur? Frohes Neues Jahr.

Wir bringen die leeren Flaschen vom Silvesterabend zum Container. Aber was ist den das? Wir hören Kraniche. Die sind doch eigentlich gar nicht in dieser Gegend. Und dann sehen wir zwei am Himmel kreisen. Ja, wir wünschen auch euch ein glückliches neues Jahr.
Marcel muss noch sein Versprechen einlösen. Kühl weht uns der Wind vom Meer entgegen. Es nützt nichts. Jetzt wird gebadet. Die Wellen schäumen Marcel entgegen. Er stellt sich ihnen und verschwindet im Wasser. Nicht lange, nur zwei drei Züge zwischen den Wellen, zu kalt ist das Wasser. Jetzt aber schnell warm duschen. So, nun ist auch der letzte Dreck vom letzten Jahr sicher weg.

Ein letzter Strandspaziergang, eine letzte Nacht. Es ist Zeit für uns weiterzuziehen. Einen ganzen Monat haben wir hier die Ruhe, den Strand, die Wellen, das Nichtstun genossen. Ein letztes Mal unsere Spatzenfreunde füttern, dann geht es los.

Von einem deutschen Paar auf dem Platz haben wir vernommen, dass sie in Spanien die Boosterimpfung bekommen konnten. Da diese auch bei uns fällig ist, wollen wir das auch versuchen. Auf unserem Weg nach Cádiz fahren wir das mobile Impfzentrum in Puerto de Santa Maria an und reihen uns in die Warteschlange. Doch um zwei Uhr geht alles zu. Mittagessen. Keiner verlässt die Schlange und so warten auch wir geduldig weiter. Um drei Uhr dann endlich öffnet sich die Tür wieder, es geht weiter. Die Schlange ist in der Zwischenzeit auf das dreifache angewachsen. Der Himmel war schon am Morgen etwas bedeckt, aber jetzt wird er plötzlich bedrohlich schwarz. Keine gute Bedingung für das Anstehen im Freien, wenn dass nur gut geht. Dann fallen die ersten Tropfen. Öffnen sich die Schleusen dieser schwarzen Wolken, dann werden wir tropfnass bis auf die Haut. Aber der Himmel hat ein Einsehen, der Wind bläst die Wolken gerade noch rechtzeitig weiter. Endlich sind wir an der Reihe. Wir legen der Señiorita am Computer unsere Krankenkassenkarte und den Impfnachweis hin, sie aber möchte unsere spanische Sozialversicherungs-Nummer wissen. Nach hin und her auf spanisch (oder eben nicht) ruft sie Pablo zu Hilfe. Super, er spricht englisch und nimmt sich uns an. Unsere Daten und bisherigen Impfungen werden im System eingegeben. Das war’s. Wir können noch den Impfstoff auswählen, dann wird gepickst. Wir sind geboostert. Was wir jetzt noch nicht wissen, es wird noch eine etwas längere Geschichte werden, bis wir ein Zertifikat für unsere dritte Impfung bekommen. Aber nach Besuchen eines Centro de Salud in Cádiz und später eines weiteren in Sevilla halten wir ein europäisches Covid-Certifikat in den Händen.

In Cádiz stehen wir auf dem Parkplatz am Hafen. Neben uns werden Containerschiffe be- und entladen. Weiter in Richtung Stadt stehen die Kreuzfahrtschiffe Aida blu und Aida Stella. Bald schon verabschiedet sich die Aida blu mit lautem Getute. Uns aber zieht es in die Altstadt, ein Labyrinth von schattigen Gassen, die sich aber immer wieder zu kleinen mit Palmen geschmückten Plätzen mit zahllosen Bars und Restaurants hin öffnen. Verlaufen kann man sich in Cádiz kaum, am Ende der Gassen gelangt man fast immer ans Meer.
Hier in Spanien ist immer noch Weihnachten mit dem Höhepunkt übermorgen, am Dreikönigstag. Allerdings versteht man unter Weihnachtsmarkt hier offensichtlich etwas anderes als wir uns gewohnt sind. Auf einem Platz finden wir, neben einem Süssigkeiten Stand und einem Weihnachtsbaum aus Metall, eine Rodelbahn und eine Schlittschuhbahn. Auf dem anderen freuen wir uns schon an dem halben Dutzend Häuschen, diese verkaufen aber alle ausschliesslich Schmuck. Dafür sind die Strassen voll mit fröhlichen Menschen. Das Christkind ist gleich mehrfach unterwegs. Einmal in den Gassen begleitet von überlebensgrossen Nussknackern, das andere Mal empfängt es Kindern vor dem Rathaus. Das Fest der Heiligen Drei Könige findet vor allem auf den Strassen statt. Man beginnt schon am Abend des 5. Januars zu feiern. Wie in vielen Städten wird auch hier in Cádiz ein grosser Umzug unter der Führung der Heiligen Drei Königen veranstaltet, die Cabalgata de Reyes. Die Umzugsroute ist trotz Corona eng gesäumt mit Leuten und Kindern auf der Suche nach Süssigkeiten und Bonbons, die von den Königen grosszügig verteilt werden.

Von Cádiz nach Sevilla vermeiden wir die Autovia. Zum Glück, so können wir am Wegrand anhalten und die vielen Störche beobachten, die uns begleiten.

Eigentlich wollen wir in Sevilla endlich einen webasto Händler finden, der unsere Dieselheizung repariert, bevor wir weiter in die kältere Extremadura fahren. Doch am heutigen Feiertag ist da natürlich geschlossen. Dies bietet uns die Gelegenheit, wieder einmal ausgiebig durch die Hauptstadt von Andalusien zu schlendern. Auf dem Plaza de la Encarnación in Sevilla trinken wir einen Kaffee unter dem Metropol Parasol, auch bekannt als die Pilze von Sevilla, das neue Wahrzeichen der Stadt. Im Barrio Santa Cruz mit seinen sehr engen Gassen verlieren wir die Orientierung und verlaufen uns. Aber irgendwie findet wir wieder heraus aus dem wohl malerischsten Viertel der Stadt, hervorgegangen aus dem Judenviertel zu maurischer Zeit.

Nun geht es zum Webasto Händler. Wir fahren Uru Camper im Industriegebiet von Sevilla an. Leider findet die negative Suche nach einer Webasto Servicestelle hier seine Fortsetzung, die Firma betreut nur eigene Kunden. Also auf nach Aznalcazar zu Elefant Camper, der nächsten Adresse auf der Webasto Webseite. Doch die Suche ist vergebens. Niemand in der Gegend kennt die Firma. Recherchen ergeben, dass sie schon vor drei Jahren aufgelöst wurde. Ein Mann auf der Strasse gibt uns eine weitere Adresse, nur ein paar Orte weiter. Soulcamper in Corio del Río … und der hat sogar Webasto Service. Nach dem Anschliessen des Analysegerätes findet er vier Fehler. Die Heizung hat sich blockiert. Er setzt die Fehler zurück, bootet die Steuerung neu und lässt sie 15 Minuten einlaufen. Das war’s. Fast, denn es folgt noch eine Rechnung von 150 Franken. Fehler und eine darauffolgende Blockierung der Heizung gelten bei Webasto nicht als Garantiefall? Wir sind von Webasto ziemlich enttäuscht. Hoffentlich haben wir in Südamerika nie Probleme mit der Dieselheizung.

Da Andalusien über die höchste Sonneneinstrahlung Europas verfügt, eignet sich dieser Standort insbesondere für Solarkraftwerke. Die beiden Solartürme von Abengoa in der Ebene von Sanlúcar la Mayor, Teil der Solúcar-Plattform für erneuerbare Energien, sind an ihrem Leuchten von weitem erkennbar. Dieser solarthermische Komplex war bei seiner Einführung in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts ein Pionier in Europa und integriert alle vorhandenen Solartechnologien. Die Planta Solar 20 ist zurzeit Europas grösstes kommerzielles Solarturmkraftwerk mit einer Nennleistung von 20 MW. 1255 nachführbare Spiegel, so genannten Heliostaten, sind halbkreisförmig vor dem Turm installiert. Sie reflektieren das Sonnenlicht und bündeln es auf einen gemeinsamen Absorber, der auf dem 160 m hohen Turm angebracht ist. Das Sonnenlicht wird dabei um den Faktor 500 konzentriert. Mit der Wärme wird Dampf erzeugt, der über Turbinen die Generatoren antreibt. Nicht weit entfernt stehen die drei Solnova Anlagen mit jeweils einer Leistung von 50 MW. Diese Anlagen nutzen die Parabolrinnen-Technologie. Dabei konzentrieren die Spiegel das Licht auf ein in der Brennlinie in einem Absorberrohr zirkulierenden Wärmemittel, dass dabei durch die etwa 100fache Konzentration des Sonnenlichts bis zu 400 Grad Celsius heiss wird.

Nach Luft und Feuer nun zu Wasser und Erde. Über Hügel geht es heute durch Korkeichen und Eukalyptuswälder weiter. Ein Halt direkt an einer verlassenen Bahnstation am Rio Tinto lässt uns rätseln. Die Bezeichnung „Roter Fluss“ ist alles andere als willkürlich, denn tatsächlich vereint dieses Gewässer sämtliche vorstellbaren Rot-Tönungen. In den Farbgebung Karminrot, Rosarot, Zinnoberrot, Violett, Kobaltblau und beinahe Schwarz bahnt sich der Fluss seinen Weg durch das Tal. An einigen Stellen erinnert der Rio Tinto an einen fliessenden Regenbogen, der die Steine und Erde des Ufers orange gefärbt hat. Die Antwort bekommen wir im Bergbaumuseum von Minas de Riotinto. Die Färbung basiert auf der Verwitterung sulfidischer Schwermittelminerale einer natürlichen Erzlagerstätte aus Kies und Kupferkies. Die verwitterten Sulfid-Minerale gelangen über Niederschlagswasser in den Fluss und verleihen diesem sein unverwechselbares Äusseres. Doch so ansehnlich, wie der Rio Tinto ist, so verseucht ist dessen Wasser. Eine Erfrischung in dem Flusslauf ist daher keinesfalls empfehlenswert! Wegen des hohen Säuregehalts überleben nur Mikroorganismen im Fluss.
Aufgrund der wahrscheinlichen Ähnlichkeit zwischen den Umweltbedingungen des Flusses und denen, die auf dem Planeten Mars auftreten könnten, dient der Rio Tinto der NASA als ein natürliches Experimentfeld auf der Erde. Sie versuchen hier herauszufinden, wie Mikroorganismen auf dem roten Planeten gefunden werden könnten.

Das Städtchen Minas de Riotinto liegt inmitten eines Bergbaugebiets, das zu den ältesten Minen in Europa zählt. Seit der Bronzezeit wurden in der Gegend Erze und Mineralien aus dem Boden geholt. Römer und Araber schürften hier nach wichtigen Rohstoffen. Im Jahre 1873 erwarb die britische Firma Rio Tinto Company Limited die Konzession zur Gewinnung von Gold, Silber und Kupfer. Dafür erhielt die erste spanische Republik eine für die damalige Zeit gigantische Summe von 93 Millionen Peseten. Damit war der defizitäre Staatshaushalt Spaniens fast saniert. Die Plünderung dauerte bis 1954, als die Mine wieder in spanische Hände überging. Natürlich, als es kein Geschäft mehr war. Erst 1986 kam das Aus zunächst für den Kupfer- und Silberabbau, 1996 für die Goldgewinnung. Angesichts der seit 2008 anziehenden Rohstoffpreise, insbesondere für Kupfer, wurde der Abbau wieder lukrativ. Seit 2016 ist die Mine wieder in Betrieb.
Die Briten waren es auch, die zu ihrer Unterhaltung in einer sonst ziemlich einsamen Gegend etwas einführten, was heute zu den grössten Leidenschaften der Spanier zählt. Sie gründeten in Minas de Riotinto den ersten Fussballverein auf spanischem Boden.

Mit einem Führer besuchen wir die Aussichtsterasse der Mine Corta Atalaya. Von den Erklärungen verstehen wir leider nicht viel, es kommt uns spanisch vor. Aber bewundern können wir das monumentale, farbenprächtige Loch auch ohne Übersetzung. Corta Atalaya ist die grösste Tagebaumine in Europa und war einst die grösste der Welt. Sie hat eine ungefähr elliptische Form, ist 1’200 m lang, 900 m breit und 350 m tief. Die Höhe jedes Rings beträgt ca. 12 m. Bis 1992 wurde hier aktiv Kupfer abgebaut. Heute sind die untersten Ringe überflutet.

Die Strasse führt nordwärts quer durch die aktive Tagbaumine. Ein Aussichtspunkt erlaubt einen Blick in ein weiteres riesiges, farbenprächtiges Loch von noch grösseren Dimensionen. Monstertrucks kriechen wie Spielzeuge von der Abbaustelle hinauf und leer wieder hinunter.
Ein paar Kilometer weiter haben wir das Gefühl, auf dem Mond zu sein. Wir finden uns inmitten eines farbigen Sees mit mysteriös anmutenden Baumresten. Obwohl dies wohl eher eine Umweltkatastrophe darstellt, erkennen wir Zwerge, Feen, einen Märchenwald. Die Ränder des Sees, alles leuchtend orange.

Wir fahren von der Strasse ab auf einen Feldweg, der 4×4 muss rein. Buchstäblich über Stock und Stein ruckeln wir den Weg hoch durch Orangenhaine bis zum Schild «Mirador». Da müssen wir einfach anhalten und mal die Steine im Detail betrachten. Schade können wir keine mitnehmen. Weiter geht’s bis zur Mina Peña de Hierro. Es handelt sich im Vergleich zu den anderen um eine kleine Mine, aber mit hohen Metallanteilen. Ohne Führung, dafür von oben können wir auf den See in der Tagebau-Mine hinunterschauen. Diese Wände der Mine spiegeln sich in einer nicht zu beschreibenden Farbenpracht. Wir laufen noch ein Stück weiter zum Ausblick auf das Quellgebiet des Rio Tinto. Schon hier sieht es aus, als ob jemand eine Flasche Wein ausgeschüttet hätte. Am Horizont leuchten die Abräumhalden der aktiven Mine in allen Rottönen.

Wir erreichen die autonome Gemeinschaft Extremadura (was auf Spanisch «extrem und hart» bedeutet). Sie ist grösser als die Schweiz, aber nur eine Million Menschen leben dort: Es ist ein leeres Land! Die Strasse wir plötzlich extrem schmal, was Erikas Nerven benötigt. Wenn nur keiner entgegenkommt. Alles wir noch karger, rechts und links des Weges stehen nur noch Kork- und Stieleichen auf grünen Wiesen, die sogenannte Dehesa. Unter den Bäumen tummeln sich Rinder, Schafe und selbstverständlich die schwarzen iberischen Schweine. Sie fressen die Eicheln, die ihrem Schinken den speziellen Geschmack geben. Und dann kommen wir plötzlich auf eine Ebene. Die Eichen weichen Obstbäumen und Reben. Beidseits der Strasse thronen auf den Strommasten die Storchennester. Sie sind gut besucht. In alten Bäumen wurden auch schon mal mehrere Nester gebaut: Mehrfamilienhäuser für Adebare! Immer wieder schauen wir den Vögeln am Himmel hinterher. Hier in der Extremadura sollen ja unsere Kraniche überwintern. Neben den Störchen erkennen wir verschiedene Raubvögel, meist Rotmilane. Doch die hier scheinen wesentlich grösser. Wir halten an und nehmen das Fernrohr zu Hand. Es ist ein ganzer Schwarm von Geiern, die über uns kreisen.

Auf unserem Weg in den Nationalpark Monfragüe machen wir Station in Jerez de los Caballeros, Badajoz, Mérida, und Cáseres. Später werden wir auch noch Plasencia und Trujillo besuchen. Alle diese malerischen kleinen Städte der Extremadura erzählen viel von der Geschichte Spaniens. Jede hat neben den schmalen Gässchen mit den weissgekalkten Häusern ihre grosse Kirche, ihre schmucken Palazzos und ihre maurischen Festung, die Alcazaba. In einigen der Orte wird auch ein heimischer Konquistador verehrt. Und doch hat jede dieser Städte ihre eigene Identität, die den Besuch einmalig macht.

So erinnert uns der gekachelte Kirchturm San Bartolomé in Jerez de los Caballeros an einen Hindutempel. Der Torre del Homenaje der Festung von Jerez de los Caballeros war Zeuge des tragischen Endes des letzten Tempelritters in Extremadura.

In Badajoz schreiten wir über die historische Puente de Palmas und durch die Puerta de Palma in die Stadt und bestaunen die mit Arkaden geschmückte Plaza Alta am Rande der Alcazaba.

In Mérida werden wir zusätzlich ins Römische Reich zurückversetzt. Damals war die Stadt unter dem Namen Emerita Augusta als Hauptstadt der Provinz Lusitania bekannt. Das römische Theater der Stadt ist nach 2000 Jahren immer noch in Betrieb und im Sommer Austragungsort des Internationalen Festivals für Klassisches Theater. Bei einem Rundgang durch die Stadt entdecken wir weitere Monumente, die an die ruhmreiche Vergangenheit Méridas erinnern: einen Tempel, das Amphitheater, den Zirkus, die Thermen, Aquädukte, Bögen.

Und noch etwas setzt die Zeit zurück. Nicht die der Weltgeschichte, aber die unserer Reiseplanung. Während dem Stadtrundgang erreicht uns ein SMS der amerikanischen Visabehörde. Wir haben es schon fast erwartet, unser Interviewtermin für Anfangs Februar ist abgesagt, aufgrund der Entscheidungen des Bundesrates. Das ist nun schon das dritten Mal. Das einzig positive an der Geschichte, so müssen während der aktuell angespannten Corona Situation den Weg in die Schweiz und zurück nicht auf uns nehmen.

Die Plaza Mayor von Cáceres entstand im 12. Jh. anlässlich einer jährlich stattfindenden Messe, die stets zahlreiche Menschen anzog und wurde später mit Arkaden umgeben, die sich auf Steinpfeiler und Rundbögen stützten. Wir trinken hier unser Caña und Clara. Die Sicht auf die Türme und Mauern mit Zinnen lenkt von den vielen gefrässigen Tauben ab.

Die Strasse wird wieder einmal schmaler. Die Landschaft mit Steineichen, Korkeichen, sanften Hügeln weicht riesigen Felsen. Wir sind angekommen im Parque National de Monfragüe. Am Salto del Gitano begrüssen uns die Gänsegeier. Um die 80 Paare sollen hier leben. Sie sitzen auf den Felsen oder lassen sich mit der Thermik in die Höhe tragen. Wir richten uns auf dem Campingplatz am Rande des Biosphärenparks ein und wollen ein paar Tage die Natur geniessen. Und irgendwo soll es in der Gegend Kraniche geben. Auch hier gibt es eine freundliche Begrüssung von einer Schar blauen Elstern. Zur Freude Marcels gesellen sich bald auch eine Horde Spatzen dazu. Klar doch, wenn es freies Futter gibt.

Für den nächsten Tag buchen wir ein Birdwatching mit Jose. Der einzigartige Nationalpark der Extremadura hat sich zu einem der besten Orte Spaniens zur Beobachtung von Vögeln entwickelt. Zudem ist er der Lebensraum der grössten Mönchsgeier Kolonie der Welt. Zurück am Salto del Gitano lernen wir den Unterschied zwischen den Gänsegeiern und den grösseren Mönchsgeiern kennen. Die dunkelbraunen Mönchsgeier sind mit einer Flügelspannweite von bis zu 3 m die grössten Greifvögel Europas, zusammen mit den Lämmergeiern. Viele verschiedene Vögel bekommen wir heute nicht zu Gesicht, die meisten sind noch in Afrika im Urlaub und kommen erst im März zurück. Auf dem Weg durch den Park entdecken wir jedoch drei kapitale Hirsche und eine Herde Hirschkühe. Und dann endlich schon ausserhalb des Parks stehen am Wegrand ein paar der Kraniche, wegen denen wir hauptsächlich in die Extremadura gefahren sind.
Auf einer Wanderung hoch zum Castillo de Monfragüe kommen wir den Gänsegeiern etwas näher. Am Felsen unterhalb der Ruinen können wir sie gut beobachten. Faszinierend wie diese grossen Vögel auf kleinsten Vorsprüngen landen und starten. Oben auf der Burg sind wir dann auf gleicher Höhe mit ihnen oder können sie sogar von oben betrachten. Der Rückweg bringt uns durch einen Märchenwald von Steineichen mit herabhängenden Flechten. Noch einmal passieren wir den Salto del Gitano und erfreuen uns an der Wolke von segelnden Geiern. Heute können wir die Gänsegeier von den Mönchsgeiern bereits am Flug unterscheiden.

Plasencia überrascht neben geschäftigen Gässchen mit einen lebendigen Gemüse- und Früchtemarkt auf der Plaza Mayor. Speziell ist die grosse Kathedrale. Der Bau einer neuen Kathedrale im 15 Jahrhundert begann mit der Idee, die Alte abzureissen, nachdem die Neue gebaut ist. Da der Bau der neuen auch nach 100 Jahren nicht fertiggestellt war, gibt es jetzt eine doppelte Kathedrale, die neue und dahinter die alte.

Auf der Suche nach den Kranichen fahren wir noch etwas weiter in den Norden zum Geisterdorf Granadilla, dem sicher eigenartigsten Dorf der Extremadura. Denn obwohl es in Granadilla noch Gassen und Häuschen gibt, eine Plaza Mayor und eine Sonnenuhr am Rathaus, existiert der Ort seit 1965 nicht mehr. In diesem Jahr sollte der nahegelegene Stausee Gabriel y Galan das Dorf überfluten. Doch auch heute scheint allabendlich die Sonne auf Granadilla und seine häufig wechselnden Bewohner. Uns bleibt der Besuch versagt. Seine Tore werden vor unserer Nase geschlossen. Zeit für die obligate spanische Siesta. Und auch die Kraniche, die hier am Ufer des Sees sein sollen, wollen sich uns nicht zeigen. Wir ziehen weiter zum Embalse de Borbollon. Auch hier lässt sich nur eine Handvoll auf den Feldern blicken.

Wo stecken nur 130’000 Kraniche, die hier in der Extremadura überwintern? Nachdem wir sie an den im Internet recherchierten Ort im Norden nicht gefunden haben, fahren wir wieder südlich. Hier haben wir noch ein paar Spots ausgemacht. Irgendwo müssen sie doch sein.
Zum Abschied von Monfragüe geht es noch einmal quer durch den Park. Die Geier sitzen auf den Felsen und sonnen sich. Für’s Fliegen ist es noch zu kalt. Die Thermik fehlt, um sich in den Himmel zu schrauben. Von den Wasserflächen steigen Nebelschwaden auf. Eine mystische Stimmung entsteht. Konturen von Bäumen erscheinen zwischen den Nebeln.

Mit dem Gold der Beutezüge in Südamerika bauten die Eroberer prächtige Paläste in der sehenswerten Kleinstadt Trujillo. Dreh- und Angelpunkt der Altstadt von Trujillo ist die Plaza Mayor, die unterhalb des alten Befestigungsrings liegt. Das Reiterstandbild von Francisco Pizarro, dem Eroberer von Peru und die Kirche San Martín dominieren den Hauptplatz. Stadtpaläste im Stil der Renaissance und des Barocks bilden als weitere Gebäude die Kulisse eines der schönsten Plätze in der Extremadura. Die Namen der Paläste wie Palacio de la Conquista oder Palacio de los Pizarro deuten auf die Bauherren. Bei Caña, Clara und Sonnenschein lassen wir die Kulisse auf uns wirken.

Am Stausee Embalse Desierra Brava verlassen wir die Strasse auf einen Feldweg in der Hoffnung, etwas mehr abseits die Kraniche zu finden. Wir hören sie und sehen sie in der Ferne fliegen. Am Wegrand stehen sie unter den Bäumen, fliegen aber erschreckt weg. Wieder nichts.
Und dann sind sie da. Auf dem Weg zum Naturschutzpark Dehesa Moheda Alto stehen sie in den abgeernteten Reisfeldern. Dutzende, hunderte, immer mehr. Im Infozentrum des Parks sehen wir uns die Ausstellung an und werden sehr freundlich informiert. Auf dem Parkplatz beim Infozentrum richten wir uns für die Nacht ein. Gerade noch rechtzeitig. Abendrot vor uns… und die Kraniche kommen, in kleinen Gruppen und in riesigen Formationen. Unser Glück ist perfekt.

Am Morgen werden wir vom Flöten der Kraniche geweckt. Vom Bett aus schauen wir ihnen lange zu, wie sie zu ihren Fressplätze fliegen. Irgend etwas klopft da immer ans Fahrzeug. Ein Schnäpper hat sich mit dem Aussenspiegel angefreundet oder eben nicht. Er sitzt auf dem Spiegel, fliegt davor und versucht etwas zu erhaschen. Ausser seinem Spiegelbild erwischt er natürlich nichts. Das wiederholt er mit grosser Ausdauer den ganzen Tag. Am Ende zeigt der Spiegel deutliche Spuren seiner Misshandlung.

Wir verbringen den Nachmittag mit einer Wanderung rund um den Park. Beim Observatorium sind die Kraniche zu hören. Wohlwissend wie scheu die Vögel sind, schleichen wir uns sehr behutsam in den Beobachtungsstand. Sie bemerken uns trotzdem und verlassen das Feld leider schon bald. Am Abend geniessen wir vom Parkplatz aus noch einmal das Spektakel der im Sonnenuntergang einfliegenden Grullas, wie sie in Spanien heissen.

Das Aufstehen mit den Kranichen und ihrem beruhigenden Flöten vertreibt rasch unsere Müdigkeit. Wir schauen Ihnen nach. Es wird Zeit weiterzufahren. Noch während vielen Kilometern sehen wir die grauen Vögel am Fressen unter den Korkeichen. Marcels Schwester Ines logiert mit ihrem Partner Philipp für drei Wochen in der Nähe von Marbella. Ein Treffen bei ihr gibt uns die allgemeine Richtung vor.

Auf unserer Route in den Süden umrunden wir den Cerro Masatrigo. Diese geologische Laune entspringt dem Wasser des Stausees La Serena. Seine konische Form ist nahezu perfekt, ein erstaunlicher Kegel von etwa 170 Metern Höhe. Nach dem Bau des Stausees La Serena wurde dieser Hügel zu einer Insel (sofern der See genügend Wasser hat), die von einer Einbahnstrasse begrenzt wird. Die Fahrzeuge nach Süden fahren auf der Westseite und die nach Norden auf der Ostseite. Diese Besonderheit lässt den Cerro Masatrigo wie einen Kreisverkehr aussehen, mit seinen 775 Metern Durchmesser „der grösste und schönste Spaniens“, sagen manche. Ein so grosser Kreisel muss natürlich einmal umrundet sein.

Über Hügel geht’s weiter. 200 Meter hoch, 150 Meter hinunter und gleich wieder hoch. Aus der Dehesa werden landwirtschaftlich genutzten Flächen, aus der Extremadura wird wieder Andalusien. Immer wieder weite Ebenen. Es zeigen sich mal ein paar Störche, mal ein Geier oder weit weg eine einzelne Gruppe von Kranichen. Noch ein grosser Hügel Zug und wir erreichen Córdoba. Der offizielle Stellplatz mit idealer Lage in der Nähe der Altstadt erweist sich als ehemaliger PKW-Parkplatz mit kleinen, recht schrägen Plätzen. Keilen ist angesagt. Anschliessend geht es zum Waschen in den Waschsalon in der Nähe. Danach spazieren wir durch die Gassen der Stadt und suchen uns bekannte Plätze aus früheren Besuchen der Stadt. Ein Caña und Clara an einem lauschigen Ort dürfen natürlich nicht fehlen.

Da in Marbella kaltes, regnerischen Wetter herrscht, haben Ines und Philipp kurzerhand beschlossen, uns in Córdoba zu besuchen. Philipp war noch nie hier. Wir führen ihn durch die kleinen Gassen der Altstadt und erfreuen uns an den wunderschönen, blumengeschmückten Innenhöfen. Unseren Hunger und Durst löschen wir auf der rechteckigen Plaza de la Corredera. Dann geht es in die herausragende Sehenswürdigkeit dieser Stadt, die Mezquita, eine elegante ehemalige Moschee, die in eine Kirche im Renaissance-Stil umgebaut wurde. Für uns ist dieser Bau und seine Geschichte jedes Mal von neuem faszinierend. Mit mehr als 23.000 Quadratmetern Grundfläche ist die Mezquita-Kathedrale eine der grössten ehemaligen Moscheebauten und eine der grössten Sakralbauten der Erde. Sie nimmt eine Länge von 179 Metern und eine Breite von 134 Metern ein. Der riesige Hauptsaal dient als Gebetshalle und vereinnahmt zwei Drittel der Fläche. Er wird durch Hufeisenbögen in 19 Schiffe und 36 Joche geteilt.

Gemütlich tuckern wir durch endlose Olivenhaine. Soweit das Auge reicht Olivenbäume auf allen Hügeln. Wir umrunden die Laguna de Fuente de Piedra. In den wärmeren Jahreszeiten tummeln sich hier Hunderte von Flamingos. In einem Feld sehen wir Kraniche stehen. Sie nutzen die Randzonen der Lagune als Schlafplatz. Wir richten uns auf einem nahen Campingplatz ein und geniessen ein paar Tage Ruhe.

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Spanien Teil 2
10.11.2021 – 21.12.2021