USA Ost II

New York, Vermont, New Hampshire, Maine

29. Juli bis 27. August 2022

Einmal mehr überrascht uns das Wochenende. Auf dem anvisierten Watkins Glen State Park Campground sind angeblich alle Plätze bereits reserviert. Ein Blick auf die Belegungsliste zeigt, dass wie auf den meisten Plätzen, alle Wochenenden bis Ende August bereits ausgebucht sind. Die Alternative ist ein Glückstreffer. Im Sugar Hill State Forest gibt es beim ehemaligen Fire Tower einen kostenlosen Campingplatz. Dieser ist first come – first serve und hat erstaunlicherweise jede Menge freie Plätze. Und was für Plätze! Auf gepflegtem Rasen mit Picknicktisch und Feuerstellen. Wir wählen uns einen schönen Platz am Waldrand aus und bleiben zwei Tage. Für unsere Unterhaltung sorgen Chipmunks, verschiedenste Vögel, inklusive Kolibri und wunderschöne riesige Schmetterlinge. Auf der hinteren Seite des Campgrounds gibt es sogar Stellplätze mit Pferdeboxen. Camping in den USA kann eben auch heissen, ein paar Tage lang mit den eigenen Pferden auf den Trails in einem wunderschönen Nationalpark zu reiten. Die Unterstände werden auch rege genutzt. Kurz nach unsere Ankunft brummt es heftig in der Zufahrt. Ein Pick-up Truck mit riesigem Pferdeauflieger fährt ein, so gross wie bei uns ein Sattelschlepper. Der Sattelauflieger hat aber nicht nur Platz für 4 Pferde und eine Sattelkammer, nein, der vordere Teil des Anhängers beherbergt einen vollumfänglichen Wohnteil, natürlich mit Slideouts. Unser Rocky würde sicher dreimal in das Gefährt hineinpassen.

Die Wasser vom Gebiet des Sugar Hills sammeln sich im Glen Creek und der fliest durch die Glen Creek Schlucht nach Watkins Glen. Ja, es ist das Watkins Glen, dass international durch den Strassenrennsport Bekanntheit erlangt hat. Hier wurden bis in die 1980er Jahre sogar Formel 1 Rennen ausgetragen. Wie das Wasser so hat es auch uns nach unten zur Schlucht gezogen. Auf dem Campground am Rande der Schlucht bekommen wir von der Rennstrecke nicht viel mit, nur ein fernes Surren und ein gelegentliches Aufheulen von Motoren. Hier feiern wir erst mal in Ruhe den Geburtstag von Erika mit einem von ihr selbst gebackenen Schokoladenkuchen, verziert mit Kerzen aus Marshmallows.

Der Watkins Glen State Park, der berühmteste der Finger Lakes State Parks, zieht uns in seinen Bann. Auf dem North Rim Trail wandern wir der Schlucht entlang, die auf beiden Seiten von steilen Wänden eingeschlossen ist. Verschiedene Gesteinsschichten erzeugen interessante Muster. Eindrückliche Blicke zum Wasser tief unten zeigen, was die Natur in tausenden von Jahren geschaffen hat. Hier haben die Gletscher ganze Arbeit geleistet. Drei Kilometern windet sich der Bach durch die bis zu 60 m tiefe Schlucht hinunter. Er bildet dabei 19 Wasserfälle und unzählige, zum Teil fast kreisrunde Gletschermühlen. Auf dem Pfad durch die Schlucht schlängeln wir uns wieder hoch, über und unter Wasserfällen und durch die Gischt der Cavern Cascade. Die Wasserfälle, einmal nur ein kleiner Sprung, einmal aus grösserer Höhe ins tiefere Becken, sind im Moment allerdings nur halb so spannend, da nicht viel Wasser den Bach hinunterfliesst. Eine angenehme Abkühlung bei den hohen Temperaturen erlauben sie trotzdem. Am Abend brennt dann ein grosses 1. Augustfeuer in unsere Feuerstelle. Wir legen noch ein paar Scheite nach, für die vielen Schweizer, die zuhause wegen Waldbrandgefahr kein Feuer entfachen dürfen.

Im Wald, nah am Ufer des Long Pond Lakes, stehen wir und geniessen. Verschiedenste Vögel und kleine, rote Eichhörnchen, flinke Chipmunks und Frösche. Schön, was da so alles vorbeikommt. Weniger Freude haben wir an der Schlange, die plötzlich auf uns zu schiesst, stehen bleibt, sich aufrichtet und uns genau unter die Lupe nimmt. Was nun? Nach einigen Minuten gegenseitigem Anstarren hat sie wohl gemerkt, dass wir doch etwas zu gross sind für ihr Abendessen und verschwindet im Unterholz. Glück gehabt. Der Frosch, welcher vor ihr geflohen ist und sich hinter uns versteckt hat, hüpft erleichtert wieder von dannen.

Auch am 2. August wäre ein besonderer Tag für uns gewesen, aber wir haben nicht daran gedacht. Vielleicht ist dieser besondere Tag auch einfach nicht so wichtig. Ein Jahr ist es her, dass wir mit unserem Rocky in Heitenried losgefahren sind. Seit einem Jahr entdecken, erleben und geniessen wir täglich die Schönheiten und Wunder dieser Welt. Land und Leute, Städte, Natur pur. Grosses und Kleines, Neues und Altes, Weites und Enges, Farbiges und Graues, Lustiges und Trauriges. Für uns kehrt dabei nie der Alltag ein, wir zählen nicht die Tage, ein jeder Tag zählt für uns neu. Wo wird er uns hinbringen, was wird er uns zeigen, was dürfen wir erfahren. Unser Wohnraum ist klein geworden, unser Lebensraum riesengross. Es geht uns gut, sehr gut. Wir sind dankbar, so leben zu dürfen.

Es herrscht Grün, es herrscht Wald. Haben wir bis jetzt geschrieben, dass wir durch waldiges Gebiet fahren, so waren das nur mehr oder weniger grosse Ansammlungen von Bäumen im Vergleich zu dem, was wir im Nordosten des Staates New York erleben. Und es sei bereits hier verraten, es wird durch die Staaten Vermont, New Hampshire und Maine so weiter gehen. Grenzenloser Wald. Ein Sticker in Vermont verrät, dass es hier schon Grün war, bevor Grün auf der ganzen Welt cool wurde. Auf einer Strecke, länger als einmal quer durch die ganze Schweiz, verlassen wir den Wald praktisch nie. Grosse, alte Bäume säumen die Strassen. Schwere Laub- und Nadelbäume lassen nur selten die Sicht frei auf die hügelige Landschaft, einen kleinen See oder wildes Bächlein. Die Stellplätze auf den Campingplätzen liegen romantisch eingebettet zwischen den Bäumen. Durch die hohen Baumwipfel erreicht kaum Sonne die Solarzellen von Rocky. An Telefonnetz oder gar Internet ist nicht zu denken. Städte sind sehr selten. Dörfer erkennen wir an Ortschildern, die dazugehörigen Häuser verstecken sich jedoch kaum sichtbar in den Bäumen des Waldes. Unterbrochen wird der Wald nur von den hässlichen Schneisen der Autobahnen, die quer durch das Land führen. Und auch die Abfahrtspisten der mondänen Skiresorts schneiden lange Wunden in die waldigen Hänge. Aber hauptsächlich herrscht Wald.

Im Bauernstaat Vermont soll es den besten Käse geben. Da fragen wir uns natürlich, wo bei all dem Wald denn hier die Kühe grasen wollen. Tatsächlich gibt es in den Wäldern auch einige Farmen, meist kleinere Familienbetriebe. Wir besuchen die Sugarbush Farm in der Nähe von Woodstock (nein, ein anderes, nicht das berühmte). Diese Farm wurde uns angepriesen, da neben 13 verschiedenen Sorten von Käse auch noch Ahornsirup fabriziert wird. Da wird uns in der Ausstellung im Sudhaus genauestens erklärt, wie die süsse Pancake Sosse hergestellt wird. Im März wird ein Loch in den Ahornbaum gebohrt, ein Hahn eingehämmert und ein Blechkübel angehängt. Jeder Baum produziert etwa 40 Liter Saft der aussieht wie Wasser und 2% natürlichen Ahornzucker enthält. Der Saft wird noch heute von Hand eingesammelt, zum Sudhaus gebracht und eingekocht, bis am Ende daraus 2.5 Liter Ahornsirup entstehen. Auf der Sugarbush Farm wurden diesen Frühling stolze 461’729 Liter Saft gesammelt. Dies allerdings zum Teil auch mit der modernen Methode, wo der Saft der Bäume direkt über ein Schlauchsystem in einer Zisterne gesammelt wird, wie wir das bereits im Juni in New Brunswick gesehen haben. Im Shop degustieren wir anschliessend Sirup und Käse. Einer der 13 Käse schmeckt uns sehr gut, es darf ein Stück mit. Da sie den Käse in Wachs verpacken, soll er sogar ohne Kühlschrank haltbar sein.

Unerwartet führt unser Weg hoch über eine Brücke. Nur kurz sehen wir darunter eine Schlucht. Zum Glück gibt es direkt nach der Brücke einen Parkplatz. Nun spazieren wir über die Brücke um das ganze genauer anzusehen. Tief eingegraben erstreckt sich unter uns die Quechee Gorge.

Der Connecticut River bildet die Grenze zwischen Vermont und New Hampshire. Auf Vermonter Seite folgen wir dem Fluss einige Zeit in nördlicher Richtung, bevor wir in den nächsten Staat wechseln. Die Autoschilder wechseln, der Wald bleibt Wald.

Auf dem landschaftlich reizvollen Kancamagus Scenic Byway überqueren wir den gleichnamigen Pass. Der Kanc, wie ihn die Einheimischen nennen, ist eine kurvenreiche, bewaldete, bergige Strasse, die durch den White Mountain National Forest führt. Am Swift River, der sich neben der Strasse ostwärts windet, wird der Passaconaway Campground zu unserer Basis für die nächsten Tage. Und wir werden auch speziell begrüsst: Schon wieder kommt eine Schlange auf uns zu und stellt sich gefährlich vor uns auf. Gemäss unserem Platznachbar eine Garter-Snake. Harmlos.

Der Swift River an sich erinnert uns stark an die Sense bei Heitenried, unserem ehemaligen Wohnort in der Schweiz. Der Fluss ist breit, nicht allzu viel Wasser, dafür schöne Pools, die zum Bade laden. Wo immer sich ein Zugang von der Strasse zeigt, stehen Autos geparkt und am Wasser wird gepicknickt. Spezielle Highlights sind die Sabbaday Falls, die Rocky Gorge und besonders die Lower Falls. Letztere gleichen eher einer gutbesetzten Badeanstalt.

In den White Mountains tragen viele Berge die Namen von amerikanischen Präsidenten. Mount Franklin, Mount Jefferson, Mount Eisenhower. Der höchste Berg der White Mountains ist der Mount Washington mit 1’917 Metern und damit der höchste Berg im Nordosten der USA. Berüchtigt ist der Berg für sein unberechenbares Wetter. Am Nachmittag des 12. April 1934 verzeichnete das Mount Washington Observatory auf dem Gipfel eine Windgeschwindigkeit von 372 km/h, Weltrekord für den höchsten gemessenen Oberflächenwind, der nicht mit einem Tornado oder tropischen Wirbelsturm in Verbindung gebracht wird. Wer auf den Gipfel will, der einer Mondlandschaft gleichen soll, kann das zu Fuss tun, aber auch per Bahn oder mit dem Auto. Die Strasse auf den Gipfel soll die spektakulärste Panoramafahrt im ganzen Osten der USA sein. Da will Rocky (und Marcel) natürlich hinauf. Zu seinem Leidwesen wird Wohnmobilen der Zugang zur Strasse verwehrt, zu eng, zu steil, zu gefährlich. Ein Blick auf Google Street View zeigt allerdings nichts Dramatisches, nichts was wir in der Schweiz nicht schon gefahren wären.

Zu Fuss kommt für uns auch nicht in Frage. Der fünfstündige Aufstieg würde unsere Kondition bei weitem übersteigen. Also sehen wir uns die Bahn an. Vor über 150 Jahren wurde die Mount Washington Cog Railway für 139’500 US$ als weltweit erste Berg-Zahnradbahn gebaut. Mit einer durchschnittlichen Steigung von 25% und einer maximalen Steigung von 37.4% ist sie noch heute die zweitsteilste der Welt. Für die 4.8 km lange Strecke zum Gipfel benötigen die Oldtimer-Dampflokomotiven eine Stunde, inklusive Wasseraufnahme auf halbem Weg. Die maximale Geschwindigkeit beträgt aufwärts 4.5 km/h, abwärts mit 7,4 km/h. Die speziell angefertigten Biodieselloks schaffen es etwas schneller.

Noch etwas schneller ging es während dem Bau der Bahntrasse, zumindest nach unten. Aus der Not heraus, entstand in den Anfängen des Eisenbahnbaus die Teufelsschindel oder das Gleitbrett. Diese einfachen hausgemachten Geräte ermöglichten es den Arbeitern, nach einem harten Arbeitstag schnell den Berg hinunterzusteigen. Die aus Holz und handgeschmiedetem Eisen gefertigten Gleitbretter passten über die Zahnstange und boten genug Platz für einen Arbeiter und sein Werkzeug. Der durchschnittliche Abstieg des Berges auf einem Gleitbrett dauerte etwa 15 Minuten. Abenteuerlustige fuhren jedoch Rennen, um zu sehen, wie schnell sie die Strecke bewältigen könnten, wobei Geschwindigkeiten von über 100 km/h gemeldet wurden. Die Rekordfahrt dauerte 2 Minuten und 45 Sekunden.

Als wir bei der Talstation eintreffen, hüllt sich der Gipfel des Mount Washington wie fast immer in Wolken. Eine kleine zischende Dampflok wird bereitgemacht, um ihren farbigen Wagen zum Gipfel zu schieben. Zwei der Dieselloks, je mit einem bunten Wagen, kriechen vom Berg hinunter. Als die Dampflok rauchend losstampft, zeigen sich die Gipfelantennen ganz kurz, um gleich wieder in den Wolken zu verschwinden. Da die Ticketpreise der Bergbahn mit denjenigen zum Jungfraujoch gut mithalten können, verzichten wir auf eine Fahrt in den Nebel.

Am Fusse des Mount Washington liegt Bretton Woods mit dem imposanten Gebäude des Mount Washington Resort, das die Gegend dominiert. Das Hotel wurde 1902 als grösstes und modernstes Grand Hotel in den White Mountains fertiggestellt und war bald bekannt als eines der luxuriösesten Sommerresorts in den Vereinigten Staaten. So manche Scene in Hollywood Filmen hat in diesem Hotel gespielt. 1944 wurde es als Tagungsort der Bretton-Woods-Konferenz international bekannt. Als Folge dieser Konferenz wurden die Weltbank und der Internationale Währungsfonds ins Leben gerufen.

Auf den Rückweg zu unserem Campground machen wir halt am schmucken alten Bahnhof von North Convey. Hier steht eine weitere Dampflock bereit, um einen antiken Touristenzug nach Bretton Wood zu ziehen. Vor den Rundhaus, natürlich mit Drehscheibe, stehen weitere alte Schienenfahrzeuge und ein eindrücklicher Schienen-Schneepflug. Obwohl wir nur 150 Meter über Meer sind, sind hier jeden Winter grosse Schneemassen zu bewältigen. Im alten Güterschuppen präsentieren heute die Modelbauer ihre Eisenbahnanlage. Diese ist überschaubar, erfreut jedoch mit vielen witzigen Details.

Green Mountains, die bis zu den Gipfel bewaldeten Berge (Hügel) in Vermont, White Mountains, die bis in den Sommer hinein schneebedeckten Berge in New Hampshire und nun der Mount Blue in Maine. Einmal kurz durch Mexiko, vorbei an Peru und schon sind wir im Mount Blue State Park. Im dichten Wald, idyllisch am Webb Lake liegt er, ruhig, natürlich ohne Telefonsignal, dafür mit eigenem Sandstrand. Und es ist kalt und regnerisch.

Rocky darf sich mit seinem 4×4 wieder einmal austoben, denn der unbefestigte Fahrweg verfügt über starke Steigungen, schmale Brücken und tiefe Schlaglöcher. Zwar etwas langsam, aber trotzdem sicher erreichen wir den Coos Canyon. Wunderbar geschliffene Felsen, kleinere Wasserfälle, rund ausgewaschene Pools und aufgestellte Steinplatten in schönen Farbenverläufen finden wir hier. Zudem kann man hier auch Gold waschen können. Marcel versucht sich sofort als Goldsucher, vorerst leider erfolglos. Der nahe Shop bietet alles Zubehör für die Suche nach dem begehrten Edelmetall, aber wir warten noch ab. Dafür sammeln wir tüchtig Heidelbeeren für Muffins.

Auf besseren Strassen geht es zum Mooselookmeguntic Lake. Der Outlook ist atemberaubend. Trotz tiefhängenden Wolken gefällt die Aussicht auf den in grüne Hügel eingebetteten See. Je nach Beschattung durch die Wolken – die Sonne vermag ab und zu durchzublicken – ergibt sich ein stimmungsvolles Bild von dunkel bis golden Grün. Dazwischen der weit verzweigte See. Ein Stückchen weiter geniessen wir auf einem weiteren Aussichtspunkt die Sicht in die andere Richtung. Der Nebel reisst auf und zeigt weiter Hügelketten hinter dem See. Und hier auf der Anhöhe haben wir Internet und Telefonempfang. Erschreckend, wie abhängig wir noch immer vom Internet sind. Doch wir sind froh, unsere Emails wieder einmal abzurufen und beantworten zu können, sowie Campingplätze im begehrten Acadia Nationalpark zu reservieren. Auf dem Rückweg in den State Park halten wir kurz an den Small Falls. Auf jeden Fall ein Blick wert. Trotzdem wir in der Abenddämmerung fahren, sehen wir auch heute keinen Moose. Dafür kreuzt ein Hirsch und eine Familie wilder Truthähne unseren Weg.

Das Wetter wird besser, wir gehen wandern – oder hiken, wie man hier sagt. Unser Ziel ist der Bald Mountain, der kahle Berg. Eine als einfach/moderat ausgeschriebene Tour mit 381 m Höhendifferenz sollen uns auf kurzen 1.6 km zum Gipfel bringen. Doch der Weg auf den 717 hohen Bald Mountain führt stetig steil direkt den Berg hinauf. So wie die Strassen werden hier auch die Wanderwege auf dem direktesten Weg gebaut. Unsere Kondition wir arg gefordert, nach Luft schnappend setzen wir uns zwischendurch hin. Der grösste Teil des Weges ist bewaldet, was auch sonst. Als wir uns dem Gipfel nähern, verwandelt sich der Feldweg in breite Granitplatten, Felsenrücken von Gletschern geformt zeigen uns einmal mehr die Schönheiten der Natur. Der Gipfel des Bald Mountain, der passend zum Namen des Berges fast kahl ist, bietet dann atemberaubende Ausblicke. Hügel und Berge sieht man, 360-Grad, bis zum Horizont und Wald, Wald und nochmals Wald. Unglaublich. Auf dem Gipfel gibt es Mittagessen aus dem Rucksack, und dann wartet noch eine süsse Belohnung. Heidelbeeren färben die Sträucher blau, Blueberries. Jetzt wissen wir auch, warum es hier Mount Blue State Park heisst. Im Nu füllt sich eine Schale mit den süssen Beeren, das gibt feine Blueberry Muffins. Der Abstieg braucht zwar kaum mehr Puste, dafür geht die steile Strecke ganz schön in die Knie. Wir sind froh wieder unten zu sein. Völlig durchschwitzt haben wir nur noch den einen Wunsch, duschen. Und dann feiern wir unsere Erstbesteigung des Bald Mountains mit einem erfrischend kühlen Bier.

Eigentlich möchten wir gerne ein paar Tage im Coos Canyon verbringen und Gold suchen, aber der dortige Campingplatz hat keinen Platz für uns. So fahren wir goldlos zurück zum Mount Blue State Park und geniessen dort den Tag im Märchenwald. Wir haben ja noch unser blaues Gold vom Berg.

Zuerst muss das Brot gebacken werden. Der Teig wartet bereits seit gestern. Der Pizzateig für das Nachtessen ist schnell geknetet und kann nun aufgehen. Nun folgen die ersehnten Blueberry Muffins. Ohne Milch und Zucker ist improvisieren angesagt, den hier gibt es in nützlicher Distanz keinen Laden. Anstelle der Milch muss es ein griechisches Joghurt tun und anstelle Zucker der Ahornsirup aus Vermont. Dem ersten Versuch fehlt noch ein wenig Süsse, der zweite ist schon besser.

An Nachmittag ist das Natur Center des Parks geöffnet. Dort finden sich viele Antworten zur lokalen Flora und Fauna, Ranger stellen sich weiteren Fragen. Interessant ist die Tafel mit den Kackhaufen verschiedener Tiere in Originalgrösse. Gerade gestern haben wir vor einem gestanden, und uns gefragt, wessen Hinterlassenschaft das sein könnte. Die junge Rangerin hat eine Milk Snake aus ihrem Terrarium entnommen, die sich nun um die Hände der mutigen Besucher windet. Wir erfahren, dass die Milk Snake zwar gerne auf Bauernhöfen lebt, dort aber keine Kühe melkt, sondern es vielmehr auf die Mäuse im Stall abgesehen hat. Von ihr erfahren wir auch, dass die Garter Schlange, die Marcel schon zweimal erschreckt hat, wirklich keine Menschen frisst, sondern lieber Regenwürmer, kleine Fische oder kleine Frösche jagt.

In Skowhagan steht eine riesige Indianer Statue, die aus einem Baumstamm geschnitzt ist. Wir haben etwas anderes erwartet und sind enttäuscht. Auf dem Weg zum Walmart haben wir dann den gleichen Weg wie die Pferdetransporter, die zum Trabrennen unterwegs sind. Wir amüsieren uns am Pferd im Trailer vor uns. Sobald der Wagen steht, schaut es seitwärts aus dem Fenster und blickt erwartungsvoll in Richtung Rennbahn.

Bis zu David und Billie Rae ist es nur noch ein Katzensprung. Auf White Lane werden wir herzlichst empfangen und gleich durch das lauschige Grundstück geführt. Der Sitzplatz am See, ein anderer an der Feuerstelle, die Hochbeete mit Kräutern und Gemüse, die geheimnisvolle Steinstrasse aus Siedlerzeiten; zum verlieben. Ein Apero am Feuer, ein superfeines Abendessen mit Jakobsmuscheln und einem bunten, liebevoll angerichtetem Salat, dazu interessante Gespräche runden den Tag ab.

So geniessen wir denn auch unseren 35. Hochzeitstag im friedvollen Ambiente und laden die beiden am Abend zu Lobsterrolls, Fisch und Muscheln in ein nahes Restaurant ein. Wieder zurück, bei einem Glas Wein und Kostproben vom besten lokalen Bourbon und Liköre, endet der gemütliche Abend mit spannenden, teilweise fast schon philosophischen Gesprächen. Die Denk- und Lebensweise von David fasziniert uns. Wir fühlen uns wohl bei unseren neuen Freunden. Freundschaften bereichern unser Leben und tragen damit auch wesentlich zu unserer Lebensqualität bei. Das grosszügige Angebot, noch einige Zeit auf White Lane zu bleiben, schlagen wir trotzdem dankbar aus. Noch zieht es uns vorwärts, noch sind wir nicht bereit für eine Auszeit vom Reisen. Und Reisen heisst leider auch, von guten Freunden Abschied zu nehmen. Danke Billie-Rae und David für die schöne, interessante, geruhsame Zeit mit euch.

Im Acadia Nationalpark treffen die Wälder des Nordens auf die Küsten des ungezähmten Atlantiks. Der nordöstlichste der US Nationalparks entstand dank den Visionen und Spenden von Privatpersonen, die die Gefahren voraussahen, die eine Überentwicklung für dieses Küstenwunderland mit sich bringen würde. Wir verbringen fünf Tage im Park auf drei verschiedenen Campingplätzen und erkundigen ihn zu Fuss, mit den Fahrrädern und mit dem Wohnmobil.

Vor dem Eindunkeln wollen wir eine erste kurze Erkundungsfahrt auf dem Schoodic Loop fahren, aber da ist wieder mal ein Fahrverbot für RV’s. Der diensthabende Ranger macht aber für Rocky eine Ausnahme, er ist ja nicht viel grösser als ein Pick-up Truck. Tolle Abendaussichten auf Buchten und Inseln, auf Felsenküste und die daran hochspritzenden Wellen entschädigen uns für den bisher regnerischen Tag.

Auf dem abgelegen Campingplatz zeigt sich unser eine Million Sterne Hotel von der leuchtenden Seite. Eine Sternschnuppe zwinkert uns zu. Wünsch dir was!

Als wir die Fahrt auf dem Schoodic Loop am Morgen mit den Rädern wiederholen, finden wir die Buchten in dichten Nebel gehüllt. Mystische Nebelschwaden ziehen vom Meer in den Wald. Am Schoodic Point, sollte man mit viel Glück Wale sehen können. Aber auch hier hüllt sich alles in grau. Man hört nur das Tuten der Fischerboote, das Wasser ist kaum sehen. So nehmen wir uns Zeit, die Felsformationen detaillierter zu erkunden. Ein Band aus schwarzer Lava zieht sich durch den roten Granit. Es spritzt und schäumt an den Felsen hoch. Die runden Steine der nächsten Bucht animieren Marcel, ein paar von ihnen in vertikale Balance zu bringen. Steinmandli und auch eine Steinfrau sorgen danach, dass der Nebel den Blick auf das Meer endlich freigibt.

Unterwegs zu einem anderen Teil des Parks, springt uns ein unscheinbarer Wegweiser zum Tidal Falls in die Augen. Die haben uns doch schon in St. John’s in Kanada fasziniert. Also Blinker raus und hin. Es ist schon bald Ebbe und so bildet der Abfluss der Egypt Bay an dieser Endstelle rauschende Stromschnellen Richtung Meer. Wir kommen später zurück, nachdem die Flut eingesetzt hat. Jetzt strömt das Wasser in hohem Tempo zurück in die Bucht. Eine Weile schauen wir dem Kormoran zu, der in der Strömung fischt. Schwupps ist er abgetaucht und zeigt uns kurz darauf seine Beute.

Die 27 Meilen lange Park Loop Road ist die Hauptstrasse, um mit dem Fahrzeug durch den Acadia-Nationalpark auf Mount Desert Island zu navigieren, auch mit dem Wohnmobil. Hier sind Wohnmobile erlaubt. Die Einbahnstrasse eröffnet unzählige wunderbare Ausblicke auf die Felsenküste, das Meer und die Inseln. An vielen Orten kann man sich sattsehen, ohne das Fahrzeug verlassen zu müssen. Man hält einfach auf der Strasse an. So wird der Loop zu einem grossen Parkplatz. Die grossen Highlights der Strecke – mit eigenen überfüllten Parkplätzen – sind Sandy Beach und Thunder Hole. Das Thunder Hole ist ein kleiner Einlass in den Felsen, an dessen Ende die Wellen in ein Kaverne einrollen. Der Wellenschlag und das Austreten der Luft soll sich anhören wie Donner. Bei unsere Ankunft ist gerade High Tide. Der ideale Zeitpunkt, jetzt sollte es donnern. Naja, das Meer ist heute eher ruhig. Um den Donnergott so richtig in Fahrt zu hören, müssen wohl höhere Wellen heranrollen.

Es sieht grau aus auf dem Seawall Campground. Wiederum nur Morgennebel? Unsere Velos möchten trotzdem ausgefahren werden. Der Bass Harbor Leuchtturm ist das erste Ziel, ein Touristen Magnet. Uralt und sicher interessant zeigt er sich aber winzig im dichten Nebel. Die Nebelglocke schlägt regelmässig an, aber sehen können wir sie nicht. Als wir den Ship Harbor Trail unter die Füsse nehmen, scheint sich der Nebel schon etwas zu lichten. Ein Fusspfad führt uns über Wurzeln und Steine in einem verwunschenen Wald dem Wasser entlang. Moos in Kugelform, Specht Wohnungen in abgestorben Bäumen, Wurzelgeflecht überall. An der Spitze des Trails zieht es uns auf die Felsen. Algen in den verschiedensten Formen liegen in den Tümpeln, die die Flut hinterlassen hat. Und natürlich können wir es auch hier nicht lassen. Ein weiteres Steinmandli, hochkant nach Marcel, und ein Steinfresser Gesicht von Erika zieren bald die Küste.

Auf der Suche nach den alten Werften der grossen Segelschiffe und Windjammer, landen wir in Camden. Eine Werft finden wir hier nicht, dafür ein malerisches Hafendorf am Fusse der Camden Hills, im ganzen Bundesstaat als „Juwel der Küste von Maine“ bekannt. Camden liegt direkt an der Penobscot Bay und ist ein Traum für Segler. Camden Harbor beherbergt zahlreiche Schoner und Grosssegler, Megayachten und Motorboote. Jeden Tag fahren Fischerboote in die Bucht ein- und aus, um frische Meeresfrüchte und Hummer zu fangen. Der Grund für Camdens weltliche Atmosphäre wird oft den wunderschönen Herrenhäusern und Landgütern zugeschrieben, die die Küste dieser kleinen Küstengemeinde säumen. Dementsprechend ist Camden die Heimat einiger der reichsten Personen in Maine. Wohlhabende Familien bauten ihre „Sommerhäuser“ in Camden, weil es Ende des 19. Jahrhunderts als eines der exklusivsten Reiseziele in Neuengland galt. Viele dieser Herrenhäuser werden heute als exklusive Inn’s betrieben. Uns zieht es auf den 240 m hohen Mount Battie, mit spektakulärem Blick auf Camden Harbor und Penobscot Bay, mit ihren Hunderten von Inseln. Als Nebeneffekt gibt es hier oben auch guten Internetempfang.

Regelmässige erimar Blog Leser erinnern sich sicher an die Trolle auf der Aullwood Farm in der Nähe von Dayton, Ohio. Nicht weniger als fünf Familienmitgliedern dieser Trolle beschützen im Costal Maine Botanical Garden in Boothbay, Maine, die Samen der Bäume. Die Guardians of the Seeds wurden vom dänischen Künstler Thomas Dambo gebaut und sind über die 323 Hektar des Gartens verstreut. Einige sind in Sichtweite, während andere tiefer im Wald liegen. Ihre Mission ist es, den Menschen Nachhaltigkeit beizubringen. Von Erika bekommen die riesigen Trolle einen kleinen Gefährten geschenkt. Der schön angelegte Botanische Garten selbst ist eine blühende Oase voller Schmetterlinge mit farbigen Blumeninseln und Hochbeeten mit duftenden Kräutern.

Sie sagen, sie seien das erste und das grösste Museum für elektrische Strassenbahnen der Welt, das Seashore Trolley Museum in Kennebunkport. In einem Bostoner Strassenbahnwagen aus den frühen 1900er Jahren werden wir auf holprigen Schienen 2.4 km durch den Campus gefahren. Dazu erzählt der Schaffner die Rolle, die der öffentliche Verkehr im Laufe der Geschichte gespielt hat. Spannend, soweit wir es im Lärm der alten Maschine verstehen. Anschliessend erkunden wir die drei Depots mit wunderschönen, restaurierten Tramwagen. Die Sammlung auf dem Gelände umfasst Fahrzeuge aus fast allen grösseren Städten in den Vereinigten Staaten, die Strassenbahnsysteme hatten, sowie aus der ganzen Welt. Vom Omnibus über elektrische Strassenbahnen, Busse, Stadtbahnen und S-Bahnen, alle stehen sie da. Und viele rosten vor sich hin. In der Werkstatt sehen wir dann aber einige Schmuckstücke, die gerade gewartet oder umfassend restauriert werden. Du kannst übrigens deinen Urlaub hier verbringen und beim Restaurieren helfen. In jedem finden sie ein entsprechendes Talent, sagen sie.

In jedem kleinen Dorf, durch das wir fahren, gibt es zwei, drei, fünf oder noch mehr Kirchen. Die Anzahl der Freikirchen und Religionsgemeinschaften in den USA ist gross, wobei die meisten ihren Ursprung in der römisch-katholischen Kirche haben. Schon einmal etwas von den Shakern gehört? Während einer Führung durch das Canterbury Shaker Village, heute ein Museum, erfahren wir viel über die zielgerichtete Lebensweise der Shaker in den USA von den 1780er Jahren bis heute.
Sie nannten sich offiziell die United Society of Believers in Christ’s Second Appearing, aber wegen ihres ekstatischen Tanzens nannte die Welt sie die Shaker. Auf dem Höhepunkt der Freikirche Mitte des 19. Jahrhunderts lebten 5000 Shaker in abgeschlossenen 19 Gemeinschaften von Maine bis Kentucky. Heute sind nur drei Shaker übriggeblieben, im Sabbathday Lake Shaker Village in Maine.
Die Shaker lebten ohne Privatbesitz, zölibatär, sie heirateten nicht und bekamen keine Kinder, doch ihr Experiment ist das beständigste religiöse Experiment in der amerikanischen Geschichte. 75 Jahre vor der Emanzipation der Sklaven und 150 Jahre bevor Frauen in Amerika zu wählen begannen, praktizierten die Shaker die soziale, sexuelle, wirtschaftliche und spirituelle Gleichberechtigung aller Mitglieder. Sie erfanden Hunderte von arbeitssparenden Geräten, von der Wäscheklammer, über die Waschmaschine bis zur Kreissäge, die sie ohne Patente teilten, und sie hatten auch keine Angst vor nützlichen Erfindungen. Die New Hampshire Shakers besassen eines der ersten Autos im Bundesstaat und versorgten das eigene Dorf mit Strom, während im Gebäude der Landeshauptstadt noch Gas brannte. Sie wurden bewundert wegen ihrer Erfolge und wegen ihrer Exzentrizität wurden sie verspottet.

Strawbery Banke ist ein Freilichtmuseum im historischen Viertel South End von Portsmouth, New Hampshire. Es verfügt über mehr als 37 restaurierte Gebäude, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert im kolonialen Stil erbaut wurden. Die Geschichte des Viertels reicht bis ins Jahr 1630 zurück, als Kapitän Walter Neale das Gebiet zum Bau einer Siedlung auswählte und es nach den wilden Beeren benannte, die entlang des Flusses Piscataqua wuchsen. In jedem der historischen Häuser sind möblierte historische Innenräume für die Öffentlichkeit zugänglich. In zwei Häusern verkörpern kostümierte Rollenspieler Charaktere aus vergangenen Zeiten und erzählen irgendwelche kuriosen, auswendig gelernten Geschichten. In anderen informieren Museumsangestellte die Besucher über die Geschichte des Bauwerks. Es gibt auch Exponate zu Archäologie, Architektur, Holzbearbeitungswerkzeugen und -fertigkeiten, sowie Pfosten-und-Balken-Konstruktion. Uns überzeugt das Museum nicht besonders. Wir hatten uns mehr auf Vorführungen von altem Handwerk eingestellt.
Ein Bummel durch das pulsierende, charmante Küstenstädten Portsmouth mit seinen alten Backsteinbauten, farbigen Holzhäusern und den mächtigen Herrenhäusern bezaubert uns da viel mehr.

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