USA Ost IV

Florida, Alabama, Mississippi, Louisiana, Tennessee

29. September bis 30. Oktober 2022

Im Einkaufszentrum nebenan lief die ganze Nacht Musik, die startenden Flugzeuge vom Miami International Airport fanden ihren Weg direkt über unsere Köpfe und auch der nahe Zug war fleissig am Hupen. Eine ruhige Nacht war es nur, weil der Wind nicht wie erwartet stark geblasen hat und kaum Regen kam. Hurrikan Ian steckt noch immer in unseren Gliedern. In verminderter Stärke – «nur» noch Kategorie 1 – zieht er jetzt gerade direkt über das Haus von Bob und Lori, dort wo wir gestern noch waren. Zum Glück geht es den beiden gut.

In Miami lichten sich die Wolken allmählich. Wir parken am Miami Beach und laufen dem grün schimmernden Meer entlang zum Ocean Drive. Hier sollen die Schönen und Reichen unterwegs sein, wie in Marbella in Spanien. Aber auch hier finden wir sie nicht. Was wir finden sind die im Art-déco Stil erbauten Gebäude. Pastellfarben, gerade Linien, Reliefs und vor allem Neonbeleuchtung sind einige der bekanntesten Merkmale des Art-déco Stils von Miami. Eine ganz andere Architektur, die sich wohltuend von den riesigen Hotelkästen abhebt.

Im Wynwood Quartier kurven wir um die Blocks. Überall an den Mauern sind grossformatige Wandmalereien, sogenannte Murals zu bewundern. Im Gegensatz zu Graffiti handelt es sich bei Murals um beauftragte Arbeiten oder freie Werke, die den öffentlichen Raum verschönern sollen. Bei allen können wir das so nicht bestätigen. Na ja, ist eben Geschmackssache. Irgendwo soll hier auch ein Troll sitzen. Den können wir aber leider nicht finden.

In Miami Beach haben wir einen Parkplatz ausgemacht, der sich gut zur Übernachtung eignet. Ein Picknick am Strand soll dem Tag den gelungenen Schlusspunkt setzen. Als alles bereit zum Loslaufen ist, beginnt es wieder zu regnen im Sunshine State Florida. Dann Tafeln wir eben im Rocky.

Heute zeigt sich Florida wieder wie man es erwartet, sonnig, blauer Himmel pur, warm, ja schon eher heiss. In den Wolkenkratzer Schluchten von Miami an ihren interessanten, glänzenden Fassaden vorbei zieht es uns in den Süden.

Es sind gibt noch mehr Trolle in der Nähe. Deshalb fahren wir quer durch die halbe Stadt zu den Pinecrest Gardens. Wegen Aufräumarbeiten nach dem Hurrikan waren die Gärten gestern noch geschlossen. Heute jedoch besuchen wir die beiden Trolle Terje und Bertha. Während Bertha sich an einen Baum lehnt, liegt Terje faul unter dem Banyanbaum und träumt in den Himmel.

Wir wollen hinaus aus der grossen Stadt, in die Natur, in die Everglades. Der Flamingo Campground am südlichen Rand soll für die nächsten Tage unser Domizil sein. Im Visitor Center am Eingang des Parks erfahren wir aber, dass die Strasse gesperrt ist. Hochwasser. Die Auswirkungen des Hurrikans holen uns ein. Wir drehen um und fahren zuerst auf die Florida Keys. Überraschenderweise finden wir den John Pennekamp Coral Reef Campground auf Key Largo beinahe leer vor. Die Leute sind wohl nach dem Sturm noch verunsichert. Uns soll es recht sein. Auf unserem Stellplatz erwarten uns bereits einige der schönen grünen Leguane, eine Schar weisser Ibisse und ein emsiges Eichhörnchen.

Wie die Perlen einer Kette reihen sie sich aneinander. Fiesta Key, Duck Key, Summerland Key und wie sie alle heissen. Über 200 Inseln und Inselchen an der Südspitze Floridas, weit aufs Meer hinaus. Auf der einen Seite der Atlantik, auf der anderen der Golf von Mexiko. Wie die Schnur der Kette führt der 170 km lange Overseas Highway von Key Largo nach Key West. Zu unserem Erstaunen fahren wir erst einige Meilen an Industrie und Kleingewerbe vorbei, eher schmuddelig anzusehen. Doch dann kommen immer wieder Brücken und man sieht auf das Meer hinaus. Und in den Buchten die Häuser auf Stelzen, am Wasser angeordnet wie Klein Venedig, jedes mit dem eigenen Bootssteg. Wo die Zivilisation die Natur noch nicht verdrängt hat, stehen Mangroven im seichten Wasser bis an den Strassenrand.
Das imposanteste Bauwerk der Strecke ist die 7 Mile Bridge. Wie die meisten andern Brücken wird auch sie begleitet von Strommasten und der alten, teilweise verfallenen Eisenbahnbrücke. Nicht wirklich idyllisch. An nicht wenigen Stellen ist die alte Brücke jedoch als Steg für die Fischer hergerichtet. Zahlreich stehen sie am Geländer und baden ihre Würmer.

Die Duval Street, die unbestrittene «Hauptstrasse» von Key West, ist der einzige Ort in den USA, an dem man auf einer einzigen Strasse vom Atlantischen Ozean bis zum Golf von Mexiko laufen kann. Wir erwarten eine Touristenstrasse mit kleinen Läden, Cafés und Restaurants. Was wir vorfinden ist eher ein Gemisch aus Ballermann und Pataya Beach. Das Vergnügen kommt hier offensichtlich nicht zu kurz. Das Kuba nicht weit weg ist, zeigt sich hier deutlich. Zigarren aus Kuba werden an jeder zweiten Ecke angeboten. Auch zeigen sich die Auswirkungen des Hurrikans. Ja, auch hier scheint er gewütet zu haben, man ist fleissig am Aufräumen. Immer wieder schichten sich Haufen von Palmblättern und Ästen an den Strassenrändern. Ganz im Süden der Strasse, beim berühmten Southernmost Hotel, sind die Zerstörungen deutlich sichtbar. Hier liegt der Stand auf der Strasse.
Der Southernmost Point selber ist nicht unbedingt das Beeindruckendste, was Key West zu bieten hat. Es ist eben nur ein «grosser, bemalter Brocken», der den südlichsten Punkt von Kontinental USA darstellt. Von hier aus sind es nur noch 140 km bis Kuba. Man geht eine ganz normale Strasse entlang und am Ende steht er dann. Die Touristen stellen sich alle hübsch in einer Reihe auf und machen ein Foto mit der bunten Boje.
Noch etwas haben wir beinahe vergessen: Einen Key Lime Pie, die vielgepriesene Spezialität des Ortes, möchten wir noch probieren. Deshalb noch schnell in einen Laden. Das Dessert für den Abend. Ob es uns geschmeckt hat? Na ja, wir würden dafür nicht noch einmal bis ans südlichste Ende der USA fahren.

Der Campingplatz Flamingo in den Everglades ist nach dem Sturm noch immer geschlossen. Also geniessen wir die geplante Reisepause stattdessen im Curry Hammock Campground auf Little Crawl Key. Leguane kommen vorbei und beäugen uns. Wir sitzen unter dem Sonnenschirm im seichten Wasser im Meer bis wir genug eingeweicht sind. So lässt es sich leben, fehlt nur noch die Bedienung, die den kalten Drink vorbeibringt.

Nach einer langen Fahrt von den Keys erreichen wir am späten Nachmittag die Everglades. Das Airboot steht bereit zum Losfahren. Der Preis stimmt auch. Somit noch schnell unsere Sachen packen, Sonnencreme und Mückenspray auftragen, Kamera nicht vergessen und los geht’s. Es heisst Hüte festhalten, als das Airboot seinen Flugzeugpropeller startet und sich in grossem Tempo den Grasfluss hinunterschlängelt. Was aussieht wie kilometerlanges flaches Land, sind in Wirklichkeit weitläufige Feuchtgebiete, perfekt für Wasserlebewesen. Das Wasser mag flach sein, aber zum Schwimmen ist dies kein Ort. Die Fahrt wird ruhiger und grosse und kleine Alligatoren, Weichschildkröten und Vögel stellen sich zu zahlreichen Fototerminen.

Kleine Trails entlang dem Highway 41 erlauben uns, die Geheimnisse der Everglades zu Fuss zu erkunden. Beim Kirby Storter Park geht es auf einen Boardwalk. Auf dem Holzsteg ist die Übersicht in die Sumpflandschaft perfekt. Bäume mit Bromelien, Epiphyten und Farnen ragen aus dem braunen Wasser. Inseln aus Seerosen und anderen Wasserpflanzen zaubern eine märchenhafte Umgebung. Weisse Reiher strecken ihre Hälse aus dem Schilf, eine Wasserschildkröte paddelt von dannen. Am Ende beim Aussichtspunkt quickt etwas. Beim Suchen nach dem Vogel entdecken wir, dass das Quieken von jungen Alligatoren kommt. Und plötzlich sehen wir sie. Ein, zwei, nein fünf winzige Gator Babys auf den grünen Wasserpflanzen, nur etwas 25 cm lang. Da taucht plötzlich die Mutter auf. Super spannend.

Schon gewusst? Auch Panther sollen in den Everglades leben. Braune, nicht schwarze und auch nicht sehr viele. Sehen werden wir sie kaum, zumindest von den anwesenden Rangern hat sie noch keiner gesehen. Als Trost empfehlen sie uns eine Nebenstrasse, von der aus Alligatoren zu sehen sein sollen. Gesagt, getan. Wir zweigen in die Naturstrasse und da, an den Wasserübergängen liegen sie und sonnen sich. Mal frei am Ufer, mal gut getarnt. Das haben wir gesucht.

Wir lassen die Everglades hinter uns. Das allgegenwärtige Seegras, welches wunderschöne Lichtspiele zeigt und so weit verbreitet ist, dass das Gebiet oft Grasfluss genannt wird. Das fragile Ökosystem mit Mangrovendickicht, durchzogen von seichten Labyrinth artigen Kanälen und Moorlandschaften, die Heimat für viele Vogelarten, Schlangen, Schildkröten und Alligatoren.

Um die vom Hurrikan stark betroffenen Überschwemmungsgebiete an der Westküste zu umgehen, fahren wir in der Landesmitte Richtung Norden. Doch der Sturm ist quer über Florida gezogen. Von den riesigen Werbetafel stehen nur noch die Gerippe, die eigentliche Werbung ist vom Winde verweht. Viele Tankstellen sind oben ohne. Zwar steht das Dach noch, die farbige, vertikale Banderolle liegt aber verknüllt beim Nachbar in der Ecke. Auch hier sehen wir entlang der Strasse grosse Haufen von Ästen und Palmblättern, die aus den Vorgärten geräumt wurden. Vereinzelt ist ein Dach abgedeckt, ein Baum entwurzelt oder abgeknickt oder ein Schiff liegt schief am Ufer des Binnensees.

Im Highlands Hammock State Park begrüsst uns eine Landschildkröte und zwei Rehe, die friedlich neben der Einfahrt grasen. Die Rangerstation ist aber noch sturmsicher verbarrikadiert und an der geschlossenen Schranke zum Zeltplatz hängt ein Zettel: Geschlossen wegen Hurrikan Ian. Auf dem Parkplatz bei der Anmeldung verbringen wir unbehelligt eine ruhige Nacht. Am Morgen erklärt uns dann ein Ranger, dass der Park wohl noch einige Tage geschlossen bleibt, bis alle Sturmschäden beseitigt sind.

Bei Tampa, oder genauer in Clearwater Bay treffen wir auf die Westküste Floridas. Hier sollte der Hurrikan ursprünglich auf Land treffen. Wir wissen nicht, was uns hier erwartet. Überall in Zentralflorida sind noch immer Überschwemmungen angesagt. Aber alles gut.
Am Sand Key Park geht’s erst einmal an den Strand. Das Wasser ist recht frisch und noch sichtlich aufgewühlt. Während der Sturmflut im 180 km entfernten Fort Myers mit Wellen von 5 m sank der Wasserspiegel hier um 2 m. Wir geniessen die Sonne und schauen den Pelikanen und verschiedenen Möwen beim akrobatischen Fischen zu.

Möglichst der Küste entlang möchten wir gegen Norden ziehen. Dies ist jedoch kaum möglich, denn da stehen entweder Villen oder es ist Sumpfgebiet. Gut gibt es immer mal wieder eine Recreation Area, einen Erholungspark. Im Jenkins Creek Park fahren wir gerade rechtzeitig ein. Ein Sandhill Kranich Pärchen grast friedlich neben der Strasse. Ein Wood Storch spaziert vorbei und lässt sich von den anwesenden Fischern kaum stören. Der weisse Reiher gesellt sich sogar zu ihnen, wohl in der Hoffnung, dass etwas für ihn abfällt.

Manatees halten sich in der kälteren Jahreszeit gerne an den Quellen auf, die in dieser Gegend zahlreich in die Moorflüsse münden. Sowohl Cristal River als auch Manatee Springs rühmen sich, dass bei ihnen die meisten Manatees zu sehen sind. Sogar mit ihnen schwimmen soll man können. Wir verbringen insgesamt 3 Tage an den Quellen und warten geduldig auf die Seekühe. Im Manatee Springs Park beobachten wir einen Kormoran, der einen sehr grossen Fisch erwischt hat, dreimal so dick wie sein Hals. Er schluckt und weg ist der Fisch. Unglaublich. Uns würgt es. Auf der gegenüberliegenden Seite entdecken wir einen Alligator. Er schwimmt zu uns, unter dem Boardwalk durch, und überquert den Quellfluss wieder, zurück in seinen Sumpf. Nur 200 m davor baden Leute im selben Wasser. Wir schauen lieber den riesigen Fischen und den Schildkröten zu und versuchen die verschiedenen Vögel zu erkennen. Ein Manatee kommt keines. Verständlicherweise auch im Hunter State Park nicht, denn hier tummeln sich viele Leute lautstark im glasklaren Wasser. Wir gesellen uns ins erfrischend kühle Nass. Marcel fängt einen schwimmenden Samen. Von was für einem Baum der wohl ist? Plötzlich steckt der Samen Kopf und Füsschen aus und versucht davon zu paddeln. Das winzige Wasserschildkrötchen ist wohl nur wenige Tage alt. Ein tolle Entschädigung für die fehlenden Manatees.

Die Golfküste Floridas hat neben Sumpflandschaften auch schönste Sandstrände. Lange fahren wir diesen entlang, bestaunen die schönen Häuser auf Stelzen und fragen uns, ob die wohl einem Hurrikan stand halten können. Bei Panama City Beach lassen wir uns auf der schmalen Halbinsel des St. Andrews State Park nieder, mit Stellplatz direkt an der Bucht. Vor uns kreuzen die Touristenboote, aber auch Pelikane fischen und sogar Delfine kommen zu Besuch. Frühmorgens werden wir durch ein heftiges Gewitter geweckt. Die Wolken verziehen sich und beim Frühstück scheint sich der blaue Himmel wieder durchzusetzen. Wir radeln zum Strand und suchen nach Muscheln. Nach starkem Seegang sollte es diese an den Strand gespült haben. Nur so zum Anschauen und schön finden, denn mitnehmen sollen wir ja keine.
Weiter der Küste nach Westen reihen sich über viele Kilometer dem Meer entlang Hochhausbunker an Hochhausbunker. Appartementhäuser, Hotels, Resorts. Rechts der Strasse findet sich die zugehörige Funmeile mit Wasserparks, Seilparks und Minigolfanlagen, Shopping, Restaurants und Fastfood, schwimmen mit Delfinen, Rollercoaster und Riesenrad. In der 2. Reihe dann die kleineren Ferienhäuser, mal bunt und alle gleich, mal individuell, verwinkelte, Terrasse auf dem Dach mit Aussicht an die Hotelbunker. Strandzugänge fehlen. Vermutlich muss mit dem Auto bis zum öffentlichen Parkplatz gefahren werden, um dann von dort an den ersehnten Strand zu gelangen.
Eine Brücke führt auf eine schmale Landzunge parallel zum Festland. Noch einige wenige Hochhäuser, und wir finden uns plötzlich inmitten von paradiesischen Sanddünen mit Puderzucker weissem Sand und karibikfarbenem Meer. Die Gulf Island National Seashore ist Naturschutzgebiet mit öffentlichem Strandzugang. Natürlich sind Wohnmobile auf den Parkplätzen nicht gestattet, übernachten schon gar nicht. Wir stellen unseren kleinen Rocky trotzdem auf einen Beach Parkplatz und wandern dem Meer entlang.

Nach der Staatsgrenze zu Mississippi weisst ein Wegweiser zum Mississippi Sandhill Crane Wildlife Refuge. Kraniche, wenn dass nicht etwas für uns ist. Im Infozentum erfahren wir viel über die spezielle Unterart der Mississippi Kraniche. Durch den schwindenden Lebensraum waren sie fast ausgestorben. Heute leben wieder 150 dieser geschützten Art im Naturschutzgebiet. Da sie nicht migrieren, also das ganze Jahr in der Gegend sind, gibt es eine Chance, sie zu sehen. Wir gehen den Naturtrail, aber die Kraniche sehen wir leider nicht, das Gebiet ist zu gross.

In New Orleans wollen wir Maria und Viktor treffen, die wir im Mai in Neuschottland zum ersten Mal getroffen haben. Sie sind in der Zwischenzeit bereits bis nach Alaska gekommen. Als hätten wir eine Zeit vereinbart, treffen die beiden mit ihrem Wohnmobil auf dem Parkplatz ein, wir wollten gerade in die Stadt aufbrechen. Zusammen gehen wir los ins French Quarter. Wunderschöne Balkone zieren die farbigen Häuser. Hier und da wird Musik gespielt, meist sehr laut. In einem Restaurant genehmigen wir uns ein Mittagessen bei live Musik. Marcel probiert ein Gumbo, den dampfenden Reiseintopf mit Meeresfrüchten, Fisch, Fleisch und Rauchwurst und ist davon begeistert. Für Viktor gibt es ein Muffuletta, ein Sandwich mit würzigem Olivenaufstrich und Wurst. Es wurde in New Orleans erfunden. Die Wurst sucht er allerdings vergebens.
Durch den Markt geht es weiter. Gassen rauf und runter sehen wir uns die Häuserfronten an. Als es zu regnen beginnt, stellen wir uns in der Nähe eines Antiquitäten Geschäftes in den Eingang. Schon schiesst das Wasser aus Kübeln vom Himmel. Die Überläufe der Regenrohre speien im hohen Bogen auf die vorbeieilenden Passanten. In einem Restaurant finden wir ein trockenes Plätzchen zum Sitzen und etwas Feuchtes für innen.
Am Abend ziehen wir noch einmal in die Stadt. Gemütlich irgendwo bei einem Bier Musik hören ist unser Ziel. Doch oh je, überlaute Trommeln erwarten uns an der ersten Strassenecke. Aus allen möglichen Bars und Restaurants dröhnt es. Dies ist weder der erwartete Jazz, die Cajun-Musik noch der Blues, es ist einfach nur laut. Und so ziehen wir durch die Partymeile und landen am Ende wieder im gleichen Restaurant wie am Nachmittag. Ein Drink für alle und etwas quatschen. Schwere Harleys donnern vorbei, die Musik auf höchster Lautstärke. Unsere Trommelfelle drohen mit vibrieren nicht nachzukommen. Schade, wir haben von New Orleans viel mehr erwartet.

Dianne Honore, eine Nachfahrin der Familie in 7er Generation, führt uns durch die Destrehan Plantage. Es ist eine sehr gute Kombination aus Geschichte, Sklavenleben und Plantagenbesitzerleben, von Dianne eindrücklich präsentiert, als ob sie diese sowohl auf der einen, wie auch auf der anderen Seite aktiv miterlebt hätte. Im Herrschaftshaus haben wir die Möglichkeit Familienschätze zu sehen, darunter eine Marmorbadewanne, von der angenommen wird, dass sie ein Geschenk von Napoleon Bonaparte selbst war. Sie zeigt uns ein Register mit den Namen der versklavten Menschen, die auf der Plantage gelebt und gearbeitet haben. Auch betreten wir eine nachgebaute Sklavenhütte, in der wir sehen können, wie eine «Familie» von 8 zusammengewürfelten Versklavten auf engem Raum zusammen leben mussten. Dann fahren wir weiter, durch endlose Zuckerrohrfelder.

Der Anstieg des Meeresspiegels bringt viele Küstengebiete unter Druck. Unter anderem ist eine winzige Insel in den Sumpfgebieten Louisianas bedroht. Der Untergang von Avery Island wäre eine kulinarische Misere. Denn Avery Island ist ein ganz besonderes Eiland. Hier, und nur hier, wird Tabasco, die Mutter aller Chilisaucen produziert und in die ganze Welt geliefert. Seit 1868 wird hier produziert, gereift und abgefüllt. 700.000 Flaschen werden täglich abgefüllt. Während der Besichtigung wird uns die Herstellung an verschiedenen Punkten erklärt. Der besondere Geschmack entsteht durch die bis zu dreijährigen Fermentierung in Eichenfässern, die man vom Whiskey Hersteller Jack Daniel’s bezieht. Der Whiskey darf ja ausschliesslich in neuen Eichenfässern gereift werden. Die Chillis wurden ursprünglich auf Avery Island angebaut, kommen heute jedoch aus Südamerika. Allerdings stammen die Samen dafür immer noch von jener Sorte, die einst Edmund McIlhenny anbaute. Jetzt wissen wir, dass man mit Tabasco nicht nur Schärfe ins Essen bringt, sondern auch Glück. Durch den Schmerzreiz von scharfem Essen wird nämlich das Glückshormon Endorphin ausgeschüttet.
Glücksgefühle kommen auch im Jungle Garden auf der Insel auf. Der Sohn des Firmengründern, ein Naturforscher und Naturschützer, hat sein Anwesen und die Landschaft westlich seiner Fabrik in einen verwunschenen botanischen Garten umgewandelt: Eine Ansammlung diskreter Gartenräume, die exotische und tropische Pflanzen aus der ganzen Welt hervorheben, ein Vogelschutzgebiet für Schneereiher in einem kleinen Sumpf. Das Gelände ist über eine umlaufende, fünf Meilen lange Strasse zugänglich, die sich durch natürliche Eichenhaine und künstliche Lagunen schlängeln. Die uralten, weitausladenden Bäume mit ihren Epiphyten sind eine Pracht.

Noch immer fahren wir im Zuckerrohrland und überqueren den Atchafalaya Sumpf auf einer kilometerlangen Hochstrasse nach Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana. Ein mit Tierblut beschmierter Stock am Ufer des Mississippi, der wohl zwei Indianerstämmen als Grenzmarkierung diente, gab der Stadt den Namen. Es ist später Nachmittag, als wir uns auf dem Parkplatz des Hollywood Casinos für die Nacht niederlassen. Das alte Casino auf einem Riverboot wirkt etwas schmuddelig und nachdem die Geldspielautomaten nicht den erhofften Gewinn ausspucken, sind wir schnell wieder draussen.
So wie fast jeder Ort in den USA kann auch Baton Rouge mit einer Superlative glänzen. Als höchstes Kapitol der Vereinigten Staaten ist das Louisiana State Capitol Building 140 m hoch (Berner Münster 100 m) und hat 34 Stockwerke. 1932, mitten in der Depression, wurde der einem Sowjetgebäude nicht unähnliche Art-déco Bau fertiggestellt. Von aussen nicht unbedingt schön, so strahlt er von innen mit Statuen, Wandmalereien. Steine aus Italien und Frankreich sollen dafür verwendet worden sein. Im 27. Stock geniessen wir die Aussicht über die Stadt und den Old Man River.
Nur 1 km südlicher steht das für uns nicht minder schöne Old State Capitol. Es hat Krieg, Feuer, Faustkämpfe und Vernachlässigung erlebt und strahlt heute wieder im vollen Glanz. Das imposante Bauwerk mit Blick auf den Mississippi wirkt von aussen wie eine mittelalterliche Festung. Das Innere ist jedoch mit Marmor und reicher Holzvertäfelung dekoriert, mit einer imposanten gusseisernen Wendeltreppe und einer beeindruckenden Kuppel aus Buntglas. Hier gibt es zu erfahren, dass Napoleon Bonaparte einst Louisiana für 15 Millionen US$ an die USA verkauft hat. Der Louisiana Purchase umfasste allerdings viel mehr Land westlich des Mississippi als das heutige Louisiana

Auf der Louisiana Seite folgen wir dem Mississippi nach Natchez. Hier führt die Strasse näher dem Fluss entlang. Weite Felder mit Zuckerrohr, später Getreide und Baumwolle liegen neben der Strasse, viele bereits abgeerntet. Trotz Sonnenschein wirkt es am Horizont merkwürdig neblig. Regnet es dort? Nein, zu unserer Überraschung werden hier noch immer Zuckerrohrfelder abgebrannt. Rauchwolken verdüstern den Himmel. Zwar ist das Abbrennen gesetzlich eingeschränkt, aber die Zuckerrohr Lobby ist stärker und reicher als die der Umweltschützer. Und noch eine Überraschung. Mitten in den abgebrannten Feldern stehen Ölförderpumpen.
Der Mississippi schlängelt sich einmal gegen Westen, dann wieder gegen Osten. Zu sehen bekommen wir nur alte Flussläufe, die zu Seen oder Sümpfen wurden. Auch wenn wir direkt auf dem Damm fahren, der Platz der dem Old Man River gelassen wird ist weit, so versteckt er sich hinter dichten Bäumen. An einigen Stellen erlauben Sperrwerke bei extremen Hochwasser zusätzliche Flächen zu überschwemmen. Im Moment ist das jedoch nicht notwendig. Im Gegenteil, der Wasserstand im Mississippi ist so tief wie noch nie und bedroht die wichtige Handelsschifffahrt.

Über eine der imposanten Stahlfachwerk Brücken überqueren wir dem Fluss und sind in Natchez. Natchez, die vielleicht älteste Stadt am Mississippi, wurde auf einer Klippe von fast 60 m erbaut und bietet den besten Blick auf den grössten Fluss Nordamerikas. Jeder Tag in Natchez endet mit einem extravaganten, flammenden Sonnenuntergang, der hinter der Brücke in den weiten westlichen Himmel übergeht. Für uns endet der perfekte Abend im Under-the-Hill Saloon, nachdem wir uns im Restaurant nebenan mit einem superleckeren Burger und einer vorzüglichen Broccoli-Bier-Käse Suppe gestärkt haben. Hier finden wir was wir in New Orleans vergeblich gesucht haben. Live-Musik, Rock n Roll und ein frisches Bier in einer sehr aufgestellten Atmosphäre.
Das Städtchen Natchez selber ist ein architektonisches Kleinod. Ein Rundgang durch die Strassen führt uns an den vielen Antebellum Häusern vorbei. Prachtvolle Mansions, viele in sehr gepflegtem Zustand, erinnern an die Blütezeit vor 200 Jahren, als die umliegenden Baumwollplantagen Wohlstand brachten und die Mississippi Dampfer aus New Orleans Geschäftsleute, Baumwollbarone, Künstler und Glücksritter hier absetzten.

Auf dem uns empfohlenen Natchez Trace Parkway rollen wir gegen Norden. Parkway tönt nach schönen Aussichtspunkten und da haben wir vom Blue Ridge entsprechen gute Erfahrungen. Dieser hier hat viel nordamerikanische Geschichte zu erzählen. Zum Beispiel brachten sogenannte „Kaintucks“ aus dem Ohio River Valley auf hölzernen Flachbooten Ernten, Vieh und andere Materialien den Mississippi hinunter. In Natchez oder New Orleans verkauften sie ihre Waren, verkauften ihre Boote und gingen oder ritten über die Old Trace nach Hause. Ausser ein paar Tafel mit viel Text gibt es davon aber nichts zu sehen. Die parkähnliche, kreuzungsfreie Strasse ohne kommerziellen Verkehr fährt sich gut, ist ziemlich langweilig. Ausser Bäumen links und rechts ist nichts zu sehen und wir wechseln auf den Highway, die zumindest durch bewohntes Gebiet führt. So kommen wir unverhofft nach Canton. Was ist den hier? Die Fronten rund um den Hauptplatz erinnern uns stark an den Wilden Westen. Grund genug gleich zweimal um den Platz zu fahren.
Unterwegs ändern wir unsere Route. Statt direkt nach Memphis, fahren wir zuerst noch nach Nashville. Die Musik in Natchez hat uns so gut gefallen, in Nashville wollen wir mehr davon hören. Der Weg in die City of Music dauert allerdings länger als erwartet. Ein starke Grippe befällt uns. Erst Erika, dann auch Marcel. Auf verschiedenen kleinen Campingplätzen kurieren wir uns aus, geniessen den leuchtenden Herbstwald und schauen den Schubschiffen auf dem Tennessee River zu.

Wie der Spitzname „Music City“ schon verrät, steht Nashville, Tennessee in allererster Linie für Musik und wird jedem Geschmack gerecht. Auf über 120 Live-Bühnen wird Jazz, Country, Bluegrass, Rock, Pop oder sogar Klassik gespielt. Wir schlendern bereits am Nachmittag durch das quirlige Honky Tonk Viertel am Lower Broadway. Aus jeder Bar tönt eine andere Musik. Fast scheint es, als ob die Lautstärke hier über die Qualität entscheidet. «Turn the quiet up». Wir nehmen überall ein Ohr voll mit. Im Johnny Cash’s Bar & BBQ mischen wir uns mit einem kalten Bier in der Hand unter die freundlichen Einheimischen und wippen im Rhythmus der Live-Musik mit dem Fuss.
Aber für uns liegt noch eine Steigerung drin. Die Stadt gilt ja als Welthauptstadt der Countrymusik und die wollen wir erleben. Inmitten der vielen Honky Tonks zieht es uns ins Robert’s Western World, der angeblich unbestrittenen q ,Heimat der traditionellen Country-Musik. Wir werden nicht enttäuscht. Steel Guitar, Bassgeige und eine sehr quirlig gespielte Fidel, alles dabei. Als Zugabe zeigt ein Zuschauerpaar einige Showdance Einlagen.
Mit dröhnenden Ohren und Musik im Herzen geht es durch die neonbeleuchteten Stassen zurück zu Rocky.

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